Gesetze sollen schneller kommen

■ Schäuble und Lambsdorff wollen wegen der SPD-Blockadepolitik die Macht des Bundesrats beschneiden

Freiburg (taz) – Aus dem tagespolitischen Streit um die Steuerreform entwickelt sich eine Debatte um die Zukunft Deutschlands als Bundesstaat. „Hände weg vom Föderalismus“, warnte gestern Bayerns Finanzminister Erwin Huber. Er reagierte damit auf ein Interview des FDP-Politikers Otto Graf Lambsdorff in der Süddeutschen Zeitung. Der ehemalige FDP-Vorsitzende hatte gefordert, den Einfluß der Länder auf die Gesetzgebung des Bundes stark zu reduzieren.

„Die Steuerreform war das Beste, was die Koalition bisher auf die Beine gebracht hat – doch der Bundesrat...“, Lambsdorff kann es nicht fassen und fordert weitreichende Konsequenzen. Er will die Zuständigkeiten von Bund und Ländern klarer trennen und vor allem die Mitsprache des Bundesrats bei Bundesgesetzen zurückschrauben.

Den Boden für diese Debatte hatten in den letzten Wochen Bundespräsident Roman Herzog und Hans-Olaf Henkel, der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), bereitet. Herzog hatte in seiner groß inszenierten „Berliner Rede“ die „quälende Langsamkeit“ der Modernisierung in Deutschland beklagt. Henkel setzte nach und forderte: „Eigentlich müßte ein zweiter Teil dieser Rede her [...] und sich mit der Frage befassen, ob ein Land mit unserer föderalen Struktur, mit sechzehn Bundesländern und einem Verhältniswahlrecht überhaupt eine Chance hat, sich so schnell zu verändern wie andere.“ Henkel forderte deshalb, „die Systemdebatte“ zu führen und warf den Begriff des „constitutional re- engineering“, also der verfassungsrechtlichen Neukonzeption, auf.

Vor allem die Landespolitiker reagierten wütend. Hessens Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) etwa sprach von einem „politischen Amoklauf“. In dieser Atmosphäre gab es für FDP- und Unions-Politiker allerdings keine große Hemmschwelle mehr, nach dem vorläufigen Scheitern der Steuerreform, den großen Knüppel aus dem Sack zu holen. Neben Lambsdorff forderte auch CDU/ CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble, die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes „tendenziell etwas zurückzunehmen“. Dabei geht es vor allem darum, die Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze zu reduzieren.

Im Gegenzug wollen Schäuble und Lambsdorff den Ländern wieder mehr eigene Gesetzgebungszuständigkeiten geben. Passend zum Anlaß der Debatte, denkt man derzeit vor allem an eine Entzerrung der Steuergesetzgebung. Jede Ebene soll, so der Grundgedanke, allein über die ihr zufließenden Steuern entscheiden. Ein Sprecher von Schäuble betonte aber: „Da muß noch viel nachgedacht werden.“

Dennoch ist diese Strategie für die in der Wolle gefärbten Föderalisten in der CSU schwer zu verkraften. So kritisierte Erwin Huber, die Blockadepolitik der SPD dürfe nun nicht dazu führen, ein politisches System aus den Angeln zu heben, das sich über fünfzig Jahre bewährt habe. Und an BDI- Chef Henkel gewandt forderte Huber, die deutsche Wirtschaft solle lieber Druck auf die SPD ausüben als „abwegige und unsinnige“ Überlegungen zur Verfassung anzustellen.

Doch Henkel läßt sich keinen Maulkorb verpassen. In einem Interview mit der Wirtschaftswoche schlug er vor, eine „Verfassungskommission“ einzurichten. Eine Idee, die vor allem den Verfassungsexperten der CDU, Rupert Scholz, provoziert. Unter seinem Vorsitz (gemeinsam mit Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau) gab es nämlich nach der Wiedervereinigung schon einmal eine „Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat“. Und dort war die Mitwirkung der Länder in Bundesangelegenheiten sogar noch deutlich erhöht worden. Als Gegenleistung für die Zustimmung zum Maastrichter Vertrag wurden im Grundgesetz starke Mitwirkungsrechte des Bundesrats an der deutschen EU-Politik verankert. Eine Reduzierung der Macht des Bundesrats wurde nicht einmal erwägt.

Scholz stellte deshalb gestern im Deutschlandfunk die gewagte These auf, das Grundgesetz sei schon in Ordnung, es werde lediglich vom Verfassungsgericht zu länderfreundlich ausgelegt. Allerdings sei das erst ein Problem, seit die SPD den Bundesrat „ausschließlich als ein bundespolitisches Ersatzoppositionsinstrument“ benutze und damit mißbrauche. Verfassungsrecht als Parteipolitik pur. Christian Rath