Der Fall Hermann ist nur die Spitze des Eisberges

Die Krebsforscher Friedhelm Hermann (47) und Marion Brach (39) haben seit 1988 „in beispiellosem Umfang“ gefälscht. Zu diesem Ergebnis kam jetzt eine Untersuchungskommission aus Wissenschaftlern, welche die Science-fiction der beiden geprüft hat. Für das Forscherduo bedeutet dies auf jeden Fall das Ende der beruflichen Karriere.

Der Ulmer Professor ist inzwischen genauso vom Dienst suspendiert wie seine Lübecker Kollegin. Das Stuttgarter Wissenschaftsministerium wird gegen Professor Hermann ein Disziplinarverfahren einleiten, die Ulmer Staatsanwaltschaft ermittelt bereits wegen Betrugs, womit dem einst gefeierten Gentherapeuten endgültig der Boden unter den Füßen weggezogen werden dürfte. „Schon heute“, sagt sein Anwalt Gerhard Hammerstein, „nimmt keiner mehr ein Stück Brot vom ihm“.

Dieser Fall hat wochenlang die Gazetten beschäftigt, weil er alle Ingredienzien eines Krimis hatte. In bewährter Manier titelte etwa Focus: „Sex, Lügen und Psychotricks“. In der Öffentlichkeit verhandelt wurde auch die verhängnisvolle private Beziehung der beiden, die in Morddrohungen gipfelte. Die beispiellose Schlammschlacht im Labor, die auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen wurde, und die wechselseitigen Schuldzuweisungen der beiden Wissenschaftler können nur noch mit einem wahnhaften Realitätsverlust erklärt werden.

Viel zuwenig wurde bisher freilich nachgefragt, wie es zu den massenhaften Fälschungen kommen konnte und warum sie fast zehn Jahre lang unentdeckt blieben. Die Antwort ist schlicht und einfach: Der Fehler liegt im System. Die Kontrollorgane der Wissenschaft, so sie es überhaupt gibt, taugen wenig.

In Gutachterkartellen werden Arbeiten und Forschungsanträge von alten Kameraden verdealt, und das Maß aller Dinge sind immer noch die Zahl der Veröffentlichungen, die heute bereits mittels digitalisierender Technik fast beliebig manipulierbar sind. Wenn also Albin Eser, der Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, auf eine „erhebliche Dunkelziffer von Fehlverhalten“ verweist, dann dürfte dies noch stark untertrieben sein.

Noch näher an der Wirklichkeit liegt wohl Hermanns zweiter Anwalt Rüdiger Zuck, der den Fall seines Mandanten als „Spitze des Eisbergs“ bewertet. Und auch seine Einschätzung, daß Hermann jetzt der „Prügelknabe einer Branche“ ist, die viel zu vertuschen hat, dürfte der Wahrheit die Ehre geben. jof