Beschnittene Solidarität

■ AOK erstattet Versicherungsbeiträge, und die DAK will das nicht hinnehmen

Berlin (taz) – Ausgerechnet die chronisch defizitäre AOK, die jahrzehntelang die Fahne der Solidargemeinschaft aufrecht hielt, greift nun als erste zu einem Mittel, das bislang nur Privatkassen ihren gesunden Mitgliedern bot: Die Ortskrankenkassen von Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Hamburg wollen jenen Mitgliedern Geld zurückerstatten, die 1996 außer den Vorsorgeuntersuchungen keine Leistungen in Anspruch genommen haben. Bis zu 916 Mark Bonus versprechen sie.

Die Empörung der Ersatzkassen darüber wächst. Die DAK ließ mitteilen, sie werde „mittelfristig“ ihre Zahlungen in den Risikostrukturausgleich aller Krankenkassen einstellen. Seit der Gesundheitsreform am 1. Juli dürfen die Kassen als Bonus Beiträge zurückzahlen. Die Ersatzkassen sehen dadurch das Solidarprinzip gefährdet. In der gesetzlichen Krankenversicherung zahlen Junge für Alte, Gesunde für Kranke.

„Wenn gesetzliche Krankenkassen die Beitragsrückerstattung einführen, ist das der erste Ausstieg aus der solidarisch finanzierten Krankenversicherung“, kritisiert Hansjochaim Fruschki, Vorstandsvorsitzender der DAK. Nun droht der Streit über den Risikostrukturausgleich geführt zu werden. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich ein System aus Geben und Nehmen. Finanzstarke Kassen – wie die Ersatzkassen – zahlen an finanzschwache. Ausgleichspflichtig sind jene, die einen überdurchschnittlich hohen Prozentsatz von jüngeren, männlichen Angestellten versichern.

Die zahlen zwar einen hohen Beitrag, verursachen aber nur geringe Kosten. Umgekehrt dürfen sich solche Kassen bedienen, die einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosen und Rentnern versichern. Diese zahlen geringe Beiträge, verursachen hohe Kosten.

Doch auch der Risikostrukturausgleich ist gesetzlich geregelt. Insofern bleibt fraglich, wie die Ersatzkassen ihre Drohungen durchsetzen können. Kassenexperten fürchten, wenn das Prinzip der Beitragsrückerstattung Schule macht, wäre das Ende des heutigen Sozialsystems gekommen. Junge und Besserverdienende würden von hohen Beiträgen entlastet.

Unbekümmert reagierte die FDP auf diese grundsätzliche Frage. Dieter Thomé, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Bundestages, forderte in einem Zeitungsinterview alle gesetzlichen Kassen auf, dem Beispiel der drei Ortskrankenkassen zu folgen. Durch die Beitragserstattungen würden erheblich weniger Mittel der Kassen für „unnötige medizinische Leistungen ausgegeben“. Das Geld könne dann „zielgerichteter für die Behandlung der echten Kranken“ ausgegeben werden. roga