Wenn die Leibwächter fliehen

■ „Tod des Prinzen“von Jon Michelet sortiert väterliche Gefühle

Zwei Briefe sind es insgesamt, und einer davon ist 260 Seiten lang – „fast hätte er nicht durch den Briefkastenschlitz gepaßt“, schreibt der Vater seinem Sohn, und vor dem nervösen Auge des Lesers beult sich ein riesiges Kuvert, die Tragetasche einer vielspurigen und ziemlich exaltierten Geschichte. Johann Steinegger, so der Name des entfesselten Briefeschreibers und Ich-Erzählers in Tod des Prinzen, dem neuen Roman des norwegischen Erfolgsautors Jon Michelet, ist auf der Flucht.

Der „Chef einer prinzlichen Leibwache“, angesiedelt in der alpinen und gänzlich fiktiven „Minimonarchie“Königsberg (!), ist aus dem Gefängnis ausgebrochen, in das ihn eine Mordanklage hineingebracht hatte. Damals war die Situation rund um die Sicherheit seines Zöglings – Boulevardpresse jagt Monarchistennachwuchs – völlig aus dem Ruder gelaufen und hatte auf ihrem dramatischen Höhepunkt zu gleich drei Toten geführt. Via Côte d'Azur macht sich der angeknackste Sicherheitschef auf den Weg zu seinem Sohn. Der heißt Antonio oder „mein Prinz“, ist jetzt wohl in der Pubertät und lebt bei seiner Mutter in Santiago de Chile. Es könnte überschaubarer und im ganzen viel erfreulicher sein, ein Thriller oder eine „Killer-Cop“-Variation, wenn dieser Roman nicht darauf bestehen würde, ein väterliches Vermächtnis zu sein und obendrein politisch korrekt. An die Stelle scharf umrissener Motive und Täterprofile treten die loseren Verbindungen pädagogischer Sonderaufträge. Steinegger etwa darf nicht einfach nur ein viriler Ex-Bulle sein, mit entsprechend hysterisch homophoben Einstellungen (er hat da mal was erlebt). Steinegger muß sich seinen Vorurteilen und seiner männlichen Psyche insgesamt stellen. So ist es gerade an ihm, die Grundrechte eines schwulen Prinzen gegen das drohende Outing durch einen deutschen und ebenfalls schwulen Skandalreporter zu verteidigen, mit aller Gewalt und als eine Art Ersatzvater. „Ich bin ein starker Mann. Aber ich bin nicht stark genug, um ganz allein durchzukommen.“Wer so spricht, der hat dazugelernt.

Im Rücklauf durch lauter bunt zusammengefaltete Ereignis- und Gedächtnisebenen und an der sentimentalen und kriminologisch völlig deplazierten Rollenvorgabe eines Vater-Sohn-Gesprächs entlang kann sich der Roman dann vor lauter männlichen, polizeilichen und väterlichen Vorbildfunktionen allerdings weder für das eine noch das andere entscheiden. Bis er schließlich weder politischer Thriller noch kriminalistisches Psychogramm, sondern mehr und mehr zu dem wird, was er im Grunde seines Männerherzens eigentlich von Anfang an war: ein vielseitiger und gutgemeinter Vorschlag zur Knabenerziehung.

Elisabeth Wagner

Jon Michelet: „Tod des Prinzen“. Roman, Rotbuch Verlag, Hamburg 1997, 295 Seiten, 38 Mark