Umsonst ist doch nicht nur der Tod Von Klaudia Brunst

Auf den ersten Blick wirkte es ungeheuer praktisch. Wir brauchten Bücherregale, und Bernhard hatte welche übrig. Billy schwarz. Genau wie wir sie brauchten. „Der Bernhard ist kein Unmensch“, meinte unsere Nachbarin. „Der läßt euch die Regale bestimmt umsonst“, meinte sie zuversichtlich, während sie nach Bernhards Telefonnummer in ihrem Personal Organizer kramte. Cousin Bernhard würde nämlich in ein niedliches Häuschen am Stadtrand ziehen, für das seine alten Billys einfach „eine Nummer zu hoch“ wären. Die Sache hatte nur einen Haken: Das Haus steht nicht am Berliner Stadtrand. „Gott, nun werdet mal nicht ostfeindlich“, ermahnte sie uns. „Im Jahre sieben der Einheit ist Quedlingburg doch praktisch um die Ecke.“ Und umsonst sei bekanntlich nur der Tod. Im übrigen eine sehr westliche Weisheit.

„Wie praktisch!“ fand auch Bernhard. „Natürlich könnt ihr die Billys haben. Ich bin ja froh, wenn ich sie los bin.“ Wie sich herausstellte, war Bernhard Bänker und hatte nach der Wende Karriere im Osten gemacht. Nun hatte er sich ein altes Fachwerkhäuschen mit Blick auf den Brocken gekauft. „Für das Geld kriegste in Berlin nich' mal 'ne Garage!“ triumphierte er. Weil das Haus unter Denkmalschutz steht, hatte die Stadt Bernhard fast 50 Prozent der Sanierungkosten zugeschossen. Und weil Bernhard in der Souterrainwohnung einen Einheimischen wohnen ließ, würde er den Rest steuerlich geltend machen können. „Damit gehört mir das Haus praktisch zum Nulltarif.“ Und im Westen glauben sie noch, nur der Tod sei umsonst.

Weil Bernhard ja kein Unmensch ist, wie er fand, machte er uns einen praktischen Vorschlag. Wir würden die Billys umsonst kriegen. Nur müßten wir sie selbst abholen. Weil wir dazu einen Pritschenwagen mieten müßten, mit dem wir ja sowieso leer nach Quedlingburg fahren würden, würde er uns nur bitten, ihm im Gegenzug ein paar Kleinigkeiten aus Berlin mitzubringen. Ob das wohl Umstände machen würde? „Die beiden sind auch keine Unmenschen, Bernhard“, schaltete sich jetzt wieder unsere Nachbarin ein und nahm mir den Telefonhörer und die Endphase der Vertragsverhandlungen aus der Hand.

Wie sich am letzten Samstag herausstellte, hatte sie das nicht ganz uneigennützig gemacht. Denn Bernhards Kleinigkeiten lagerten quasi unter uns. Etwas kleinlaut öffnete unsere Nachbarin ihren Kohlenkeller und zeigte auf die recht umfassende Habe ihres Vetters. „Im Klartext heißt das also: Wir bekommen die Billys, wenn wir Bernhards Umzug machen?“ schnaubte meine Freundin erbost. „Ich packe auch mit an“, meinte unsere Nachbarin leise. „Jedenfalls auf der Hintour.“

„Laß mich mal überschlagen“, japste meine Freundin, während sie eine Bücherkiste die Kellertreppe hochastete. „Der Pritschenwagen kostet 148 Mark Wochenendtarif, inklusive 200 Freikilometer. Quedlinburg und zurück sind gute 400 Kilometer. Bei 35 Pfennig pro Zusatzkilometer macht das noch mal 70 Mark, plus Benzin, sagen wir 50 Mark. Macht zusammen 268 Mark. Zwei neue Billys kosten 298 Mark. Dann schleppen wir uns jetzt hier also für schlappe dreißig Mark ab?“

„Ich hab' euch doch gleich gesagt“, zuckte unsere Nachbarin unbeeindruckt die Achseln, „daß das praktisch alles umsonst ist.“