Pythons für Fujimori

Der peruanische Bildhauer Victor Delfin, einer der bekanntesten Künstler Südamerikas, kämpft gegen den Militärapparat  ■ Von Christian Harkensee

In Miraflores, dem mondänen Küstenvorort der peruanischen Hauptstadt Lima, liegt auf einer Felsklippe hoch über dem Pazifischen Ozean einer der ungewöhnlichsten Parks Lateinamerikas: „Parque del amor“ ist ein Hymnus auf die Liebe.

Der Park, der einen weiten Blick freigibt über die langgezogene Bucht von Lima, von La Punta im Norden bis Chorillos im Süden, gilt als einer der schönsten und gepflegtesten in Lima und ist zu einem Wallfahrtsort für Liebespaare aus dem ganzen Land geworden. An den Abenden, wenn die Sonne glutvoll im Pazifik versinkt, an den Wochenenden und besonders am Valentinstag kommen sie in Massen. Keine Hochzeit ohne Fototermin vor der für peruanische Verhältnisse erstaunlich erotischen Skulptur in der Mitte des Parks: Ein steinernes Liebespaar, das sich engumschlungen und lang hingestreckt einen zarten Kuß gibt – „El beso“, der Kuß, ist dann auch der Titel des Werks.

Die Umfassungsmauer des Parks, lustvoll hingeschlängelt wie eine überdimensionale Python, bietet zahlreiche versteckte Winkel und geborgene Sitzecken. Die mit Kachelscherben gaudiesk buntgefliesten Wände mit Zitaten aus den schönsten Liebesgedichten peruanischer Dichter geschmückt: von César Vallejo, der die lateinamerikanische Poesie vom Postkolonialismus in die Moderne katapultierte, bis zur jüngsten Generation um Antonio Cisneros, Washington Delgado und Luis La Hoz. Verzeichnet sind dort auch die Vornamen bekannter und unbekannter Liebespaare aus Geschichte und Gegenwart, darunter Präsident Fujimori und seine inzwischen Exfrau sowie jene von „Sendero Luminoso“-Führer Abimael Guzmán, genannt „Gonzalo“, und Rosa, seiner einstigen Gefährtin. Ein Park als Stein moralischen und politischen Anstoßes – kein Wunder, daß dieser Park bei seiner Einweihung 1992 einen Sturm der Entrüstung auslöste.

Der Schöpfer des „Parque del amor“ ist der Maler und Bildhauer Victor Delfin, einer der renommiertesten Künstler des Landes. „Es ging darum, der Liebe einen Platz zu geben, den sie in Peru nicht hat. Die Liebe wird angefeindet, verfolgt wie die Freude, die Vernunft, der Erfolg. So ergeht es jeder Kreation, die nicht geprüft und für konform befunden wurde.“ Gegen all diese Verbote steht das Leben und die Intuition des Künstlers. Der 1927 als Sohn eines Erdölarbeiters geborene Delfin, ein Mestize und Nachfahre einer fast vergessenen indigenen Kultur, stellte sich schon während seines Studiums an der Kunstakademie von Lima in den fünfziger Jahren gegen die vorherrschende Meinung der Kreolen, jener Nachfahren der Einwanderer aus Europa, die bis heute das politische und kulturelle Leben Perus dominieren. In einer Zeit, in der sich Lateinamerikas Kunstschaffende stark an europäischen und nordamerikanischen Vorbildern orientierten, gehörte er zu den wenigen Künstlern, die ihre indigenen Wurzeln suchten.

Seine Beschäftigung mit indigener Kultur machte ihn in den sechziger und siebziger Jahren auch über Peru hinaus bekannt: Er lebte lange in Santiago de Chile, in Ecuador und in New York, wo er gar eine eigene Galerie hatte und das New Yorker Museum of Modern Art Werke von Delfin bei Sotheby's ersteigerte: „Eine der guten Erfahrungen der Großstädte, und besonders New Yorks, ist, daß sie dich nivellieren, daß sie deine Füße auf den Boden zurückbringen, jeden Tag neu.“ Trotzdem zog es ihn Mitte der achtziger Jahre nach Peru zurück, in sein Haus am Meer in Barranco, dem Nachbarort von Miraflores. Für Delfin gehörte dieser Schritt zur künstlerischen Entwicklung: „Man spricht von Erfolg, davon, daß man seine Vollendung erreicht hat. Das erscheint mir als Unsinn. Ich glaube, daß niemand diese Vollendung je erreicht. Es geht darum, gegen seinen eigenen Erfolg zu rebellieren, wenn nicht, erfüllt man nur eine Formel und entwickelt sich nicht weiter. Wenn der Mensch Reife erlangt, verlangt er mehr Zeit. Früher gefielen mir die Feinheiten, heute stimme ich mit den einfachsten Dingen überein.“

Peru war in jener Zeit als Staat in Auflösung begriffen, zerrüttet von Wirtschaftskrise, Terror und Korruption. Die Folgen der neoliberalen Wirtschaftsreformen von Präsident Alberto Fujimori, der 1990 völlig überraschend die Präsidentschaftswahlen gegen den hochfavorisierten Schriftsteller Mario Vargas Llosa gewann, verschärften die sozialen Konflikte noch mehr. Der „Sendero Luminoso“, die maoistische Guerilla des „Leuchtenden Pfades“, rief zu einem „reinigenden Blutbad“ mit einer Million Toten auf, und trieb den Terror bis in das Zentrum von Lima. Bombenattentate und Schießereien gehörten zum Alltag, das öffentliche Leben erlahmte, die Menschen trauten sich vor Angst nicht mehr aus den Häusern. Der vermeintliche Neubeginn war eine Zeit des Rückzugs, der Isolation.

In der Furcht um das physische und geistige Überleben war „an Kunst, an Glück, an Liebe nicht zu denken. Die Jahre des Terrors – gegen den Staat und von ihm ausgehend – haben viele von uns hartherzig gemacht, wir haben einen Teil unserer Seele verraten. Doch wie kann man da still sein, wenn man aus dem Haus geht und nur Elend, Unordnung und Gewalt sieht – vergewaltigte Mädchen, tote Kinder oder verschwundene Studenten? Ich habe soviel gelernt in den letzten Jahren, man hat mich gelehrt, demütig und standhaft zu sein ... Carajo!“

Mehr denn je fühlte sich der heimgekehrte Kosmopolit Delfin mit seinem Land und den Menschen verbunden. Auf dem Höhepunkt der Krise setzte er ein Zeichen zum Aufbruch aus der Lethargie und schuf eben jenen Freiraum – den „Parque del amor“ –, um gegen die lebensfeindliche Stimmung in Lima aufzubegehren.

Seitdem hat sich sein Verhältnis zu dem autoritären Staat nicht geändert. Zwar konnte Fujimori die rasante Inflation stoppen und den Terrorismus zurückdrängen, doch der Preis dafür ist hoch. Die Arbeitslosigkeit steigt, soziale Gegensätze verschärfen sich. Fujimori schaffte noch mit Hilfe des Militärs die demokratische Verfassung ab und schuf für sich selbst nahezu absolutistische Machtbefugnisse. So demokratisch sich der Präsident nach außen auch gebärdet, die Menschenrechte sind in Peru nach wie vor gefährdet: Daß Menschen verschwinden oder auf offener Straße entführt werden gehört noch immer ebenso zum Alltag wie willkürliche Festnahmen und zum Teil langjährige Haftzeiten für sogenannte Terrorismusverdächtige.

Das Massaker der Armee an neun Studenten und einem Professor der Universität von La Cantuta, der ein enger Freund Victor Delfins war, brachte ihn zu konkretem politischem Engagement. Delfin hat die Menschenrechtsorganisation „Aprodeh“ mitbegründet, und als Fujimori 1995 alle uniformierten Menschenrechtsverletzer, unter jenen auch die Täter von La Cantuta, generalamnestierte, rief er eine Initiative gegen das Amnestiegesetz ins Leben. Seitdem schreibt er Zeitungsartikel, spricht auf Demonstrationen, setzt sich für Gefangene ein.

Mit einer Ausstellung in seinem Haus in Barranco rief Delfin im Sommer letzten Jahres zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema der „Desaparecidos“, der Verschwundenen, auf. Gemälde, Skulpturen und Fotografien von „verschwundenen“ Künstlern wurden in einer Reihe mit Gegenwartskunst gezeigt. Dabei wurde klar, wie sehr das Thema aus Angst von der Öffentlichkeit verdrängt wird, wie groß aber auch das Interesse an der Wahrheit ist: „Wir entreißen die ,Desaparecidos‘ ihrer Anonymität, zeigen, daß sie Individuen sind, genauso wie ihre Mörder.“ Mehrere tausend Menschen sahen die Ausstellung.

Die Geiselnahme in der japanischen Botschaft durch ein Kommando der MRTA war dann auch für Delfin ein Schock: Auch wenn er eben gerade nicht ein Fujimori- Anhänger ist und vom Präsidenten demokratische Reformen einfordert, fürchtet er doch wie viele seiner Landsleute um die relative Stabilität des Landes. Nach den verfehlten Hoffnungen der Regierung, Peru könnte so etwas wie ein „ökonomischer Tiger“ Lateinamerikas werden, galt der „Sieg über den Terrorismus“ als Fujimoris größter politischer Erfolg. Ein Trugschluß, wie sich nun zeigt.

Für Victor Delfin sind die eigentlichen Probleme des Landes grundsätzlicher Natur, er hält den Sturm auf die japanische Botschaft für ein weiteres sinnloses Massaker: „Das Militär hat gesiegt; Fujimoris Position ist dadurch aber nur scheinbar gestärkt, denn die wirklichen Ursachen der Gewalt bleiben bestehen: Analphabetismus, Kinderarbeit zu Billigstlöhnen, während ihre Eltern arbeitslos sind; der Rassismus der ,weißen‘ Minderheit gegen die Mehrheit der ,Cholos‘.“

Jetzt haben sich Menschenrechtsgruppen und die Opposition zu einer Wahrheitsfindungskomission zusammengetan, um gegen die Verbrechen der peruanischen Regierung zu ermitteln: „Es geht nicht an, daß Menschen wie Martin Rivas – als Kommandeur beim Todesschwadron des Militärgeheimdienstes für die Massaker von La Cantuna verantwortlich – amnestiert werden. Die Straffreiheit dient allein der Stärkung des Militärapparats.“ Für Delfin liegt in dieser Entwicklung das Scheitern der peruanischen Gesellschaft mitbegründet: „Welche Art von Land sind wir? Wir wissen, wir sind spät dran und haben eine wichtige Verabredung mit der Zukunft, also beeilen wir uns und entscheiden, welche Art von Modernität wir wollen: Es geht darum, die Erfahrungen der Industrieländer zu nutzen, ihre Fehler zu vermeiden und das Beste unserer Kultur zu retten. Wenn wir ein Bewußtsein für unsere Identität erlangen, werden wir eine menschlichere Gesellschaft erreichen.

Es geht darum, die Verfassung zu achten, die Ausbildung demokratischer Institutionen voranzutreiben, denn Entwicklung ist nur möglich, wenn man auf die Wahrheit und das Recht vertrauen kann.“