Nicht gebraucht werden Lords of Poverty

Entwicklungshilfe wird zur Exportförderung, und auf dem privaten Spendenmarkt wächst die Konkurrenz. Wenn Entwicklungsorganisationen ihre Seele nicht verlieren wollen, müssen sie wieder politischer werden  ■ Von Klaus Wardenbach

Die Entwicklungshilfe oder, freundlicher formuliert, die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist nicht erst in den 90er Jahren ins Visier der Kritik geraten. In den 80er Jahren, angeregt durch das Buch „Tödliche Hilfe“ der ehemaligen Mitarbeiterin des Entwicklungsministeriums, Brigitte Erler, wurde jedoch nur die staatliche und internationale EZ fundamental in Frage gestellt. Damals galten im Trend der „neuen sozialen Bewegungen“ regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) allgemein als Hoffnungsträger. Und selbst die traditionellen Hilfswerke, wie Brot für die Welt, Misereor oder die Welthungerhilfe, schienen auf dem Weg vom bloß karitativen Wirken zum Engagement für weltweite soziale Gerechtigkeit.

NGOs haben ihren Nimbus verspielt

Mehr als zehn Jahre später erstreckt sich die Kritik auch auf die Arbeit entwicklungspolitischer regierungsunabhängiger Organisationen. Die staatlichen Entwicklungsbehörden ihrerseits gerieren sich inzwischen unter dem Druck der Globalisierung stärker denn je als Hilfstruppe zur Außenwirtschaftsförderung.

Die meisten NGOs begnügen sich inzwischen damit, diese offizielle Strategie sozial und neuerdings zunehmend ökologisch zu flankieren. Ein Konfrontationskurs ist nicht mehr angesagt. In der Zeitschrift Der Überblick wurde dieser Trend als „Korruption der NGOs“ bezeichnet, wobei unter Korruption nicht die finanzielle Bestechung (die es auch gibt), sondern das allmähliche Aufgeben ihrer ursprünglichen Zielsetzungen durch Anpassung an die Macht des Staates oder die Zwänge des Marktes zu verstehen ist.

Die Kritik an den korrupten NGOs fällt in eine Zeit, in der Entwicklungspolitik in eine immer tiefer werdende Legitimations- und zugleich Finanzkrise geraten ist. Die staatlichen Ausgaben für Entwicklung gehen in allen westlichen Industriestaaten zurück. Ein großer Teil der Öffentlichkeit sieht Entwicklungspolitik als reine Geldverschwendung an.

Der gesamte Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit beträgt rund 7,6 Milliarden Mark, dazu kommen weitere 4 Milliarden Mark öffentliche Entwicklungshilfe und knapp 1,6 Milliarden aus privaten Spenden. Die Summe von 14 Milliarden Mark im Jahr wirkt längst nicht mehr gigantisch, wenn man sie in Relation setzt zu den Baukosten der Transrapid-Trasse zwischen Hamburg und Berlin (über 10 Milliarden Mark), dem deutschen Beitrag zum „Eurofighter 2000“ (rund 24 Milliarden) oder gar zu den jährlichen Transferzahlungen nach Ostdeutschland (140 Milliarden).

Entwicklungshilfe ist 10 Prozent der Osthilfe

Das Entwicklungshilfegeschäft ist also kein Big Business. Aber es war immer schon Geschäft. Von jeder Mark für Entwicklungshilfe bleiben 50 Pfennig im eigenen Land. Von den restlichen 50 Pfennig, die in die Entwicklungsländer gehen, fließt ein großer Teil in Form von Aufträgen und Zinszahlungen nach Deutschland zurück. Teilweise ist das der sogenannten „Lieferbindung“ zu verdanken: Entwicklungshilfe wird nur dann gewährt, wenn sich das Empfängerland vertraglich verpflichtet, mit den Geldern Produkte von deutschen Firmen zu kaufen.

Daneben gibt es die Form einer eher informellen Lieferbindung, zum Beispiel durch die Gewährung von Mischkrediten, die Entwicklungshilfe mit kommerziellen Krediten verbinden und durch „sanften Druck“ darauf hinwirken, daß die Lieferaufträge an die eigene Wirtschaft gehen. So stellte das Entwicklungsministerium im Februar 1996 rund 800 Millionen Mark für das Projekt U-Bahn-Linie 2 in Shanghai bereit. Dafür erhielt ein deutsches Konsortium unter Führung von Adtranz und Siemens den Zuschlag für den Bau.

Diese Interessenverquickung führte im Herbst 1996 zu einer erstaunlichen Konstellation: Die Vorstände von Siemens, Krupp, MAN und anderen Konzernen wurden bei Finanzminister Theo Waigel zugunsten des deutschen Entwicklungshilfe-Etats vorstellig, angeblich um durch weitere Kürzungen im Haushalt des Entwicklungshilfeministeriums (BMZ) gefährdete Arbeitsplätze zu retten.

Siemens & Co kämpfen für mehr Entwicklungshilfe

Besonders das rasante Ansteigen der Direktinvestitionen transnationaler Konzerne wird gerne als größte Entwicklungshoffnung jenseits von staatlicher Bürokratie und Mißwirtschaft angepriesen. Direktinvestitionen und andere private Finanztransaktionen aus OECD-Ländern in Entwicklungsländer lagen 1995 mit 160 Milliarden Dollar fast dreimal so hoch wie die staatliche Entwicklungshilfe. Verschwiegen wird, daß natürlich nur dort investiert wird, wo Profite winken, also in Thailand, Indonesien, China oder Brasilien, daß aber auf ganz Schwarzafrika bloß 2 Milliarden Dollar der Direktinvestitionen entfielen.

Das Entwicklungshilfeministerium ist in seiner Presse- und Öffentlichkeitsarbeit inzwischen dazu übergegangen, die „Eigeninteressen“ der deutschen Steuerzahler an wirtschaftlicher Entwicklung und stabilen Verhältnissen in der Dritten Welt herauszustellen. Zynisch könnte man begrüßen, daß sich damit endlich der ideologische Nebel um die Motive von EZ zu lüften beginnt. Nur ist davon keine Empörung, keine aufklärerische Wirkung zu erwarten, sondern nur das Sichfügen auch der nichtstaatlichen Entwicklungspolitik in die vermeintlichen Sachzwänge.

Zum schlechten Ansehen der Entwicklungspolitik beigetragen hat in erster Linie sicherlich die von Brigitte Erler als „Entwicklungshilfe Jet-Set“ bezeichnete „große Interessengemeinschaft von Bürokraten im Ministerium und in den Durchführungsorganisationen, von Consultings und Experten sowie den Entwicklungshilfe-Politikern“. Der Geschäftsführer der bundeseigenen Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), die deutsche Privatinvestitionen in Entwicklungsländern fördern soll, Rainer von Othegraven, genehmigte sich zwischen 1990 und 1994 Dienstreisen in Höhe von 820.000 Mark, wobei auf seine mitreisende Ehefrau 170.000 Mark entfielen. Zudem kassierte er unrechtmäßig insgesamt 72.000 Mark Trennungsentschädigung.

Selbstbedienung bei den staatlichen Helfern

Der Bundesrechnungshof monierte zwar in einem Bericht im Frühjahr 1996 diese Praktiken. Dies führte dann aber nicht zur Ablösung Othegravens und zur Rückforderung der Gelder, sondern zum Vorschlag der Bestellung eines zusätzlichen Geschäftsführers bei der DEG. Auch die sich in den letzten Monaten häufenden Finanzskandale der GTZ, der vom Staat mit einem Etat von 1,8 Milliarden Mark versehenen größten Durchführungsorganisation staatlicher Entwicklungshilfe, haben bislang nicht zu erkennbaren organisatorischen Konsequenzen geführt. Im Januar 1997 erhob Focus Vorwürfe über mangelhafte Abrechnungen im Ausmaß von 22 Millionen Mark für Hilfsaktionen im Sudan. Schon im letzten November waren Schmiergeldzahlungen an GTZ-Angestellte in Höhe von einer halben Million Mark für Katastrophenhilfe-Transporte bekanntgeworden, wobei sich die öffentliche Empörung meist gegen die Entwicklungshilfe an sich wendete und nicht gegen Parteibuchwirtschaft und Mißstände in halbstaatlichen Großorganisationen.

Entwicklungspolitik zielt, zumindest theoretisch, auf Wohlstand und weltweite Gerechtigkeit, auf einen Ausgleich zwischen dem armen Süden und dem reichen Norden. Dieses Ziel sollte auch in der konkreten Arbeit und Lebensweise der entwicklungspolitisch Engagierten zum Vorschein kommen. Spitzeneinkommen, wie sie auch von der GTZ oder anderen bundesdeutschen Quasi-NGOs bekannt sind, vertragen sich schlecht mit diesem gesellschaftsveränderndem Anspruch. Die Vermutung liegt nahe, daß bei den „Lords of Poverty“ der großen Hilfswerke dieser Anspruch längst nicht mehr besteht. So unsinnig und heuchlerisch es wäre, Entwicklungshelfer und NGOs als eine Art erleuchteten Bettelorden außerhalb der Gesellschaft zu verstehen, so falsch wäre es für die betreffenden Gruppen aber auch, die Praktiken ihrer „großen Kollegen“ zu kopieren, mit dem zynischen Hinweis darauf, daß Gehaltsunterschiede nun mal Professionalität und Effizienz steigern würden.

In den großen Hilfswerken ist der Einfluß der Mitarbeiter für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit mittlerweile dominierend. Auch fast jede kleinere NGO hat spezielle MitarbeiterInnen für „fund-raising“ und versucht sich mit neuen Geschäftsideen am immer härter umkämpften Spendenmarkt zu behaupten. Die großen Hilfswerke, wie Oxfam, World Vision und Care oder in Deutschland die Welthungerhilfe, genießen zwar etliche Privilegien, sind aber mit ihren Millionenetats fast ausschließlich auf private Spenden und staatliche Projektzuschüsse angewiesen. Auf kirchliche Hilfswerke, wie Misereor und Brot für die Welt, und Partei-Stiftungen entfällt in der Bundesrepublik ein Anteil von rund 600 Millionen Mark am Entwicklungshaushalt, während für Maßnahmen sonstiger privater Träger, also für die eigentliche NGO-Förderung, nur kärgliche 31 Millionen vorgesehen sind.

NGOs: Das Sagen haben Marketingstrategen

Lukrativster Markt für die großen Hilfsorganisationen ist zur Zeit die Katastrophenhilfe, deren Gesamtumsatz im Jahre 1995 bei rund 6 Milliarden Dollar lag. Große Hilfsmaßnahmen wie in Somalia, Ruanda oder Bosnien haben den beteiligten NGOs und Ausrüstern volle Kassen beschert.

Auf der ersten internationalen Fachmesse für Katastrophenhilfe, der „World Aid '96“, hatten im Oktober letzten Jahres in Genf 46 Organisationen und 275 Firmen aus aller Welt Stände errichtet, unter ihnen auch der schwedische Rüstungskonzern Bofors, der Minenräumgeräte ausstellte.

Nicht nur durch Hilfe, auch durch entwicklungspolitisch engagierten Handel läßt sich Geld verdienen. Die älteste deutsche Organisation, die sich dem „fairen Handel“ widmet, die 1975 gegründete Gepa (Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt), stand Ende 1996 allerdings kurz vor dem Konkurs. Die Gepa reagierte darauf wie jeder normale Konzern, mit „downsizing“, das heißt der Entlassung knapp eines Viertels der Angestellten, Professionalisierung und Abbau der Bildungs- und Informationsarbeit. Dahinter steckt implizit die Ansicht, daß der wirtschaftliche Erfolg und nicht der propagandistische Effekt das wichtigste Kriterium beim Fair-Trade-Ansatz sei.

Ähnlich wie die Gepa sehen viele NGOs allein in ausgefallenen Marketing-Ideen den Ausweg aus ihrer Finanzkrise. So wurde zum Beispiel 1995 von Unicef in Zusammenarbeit mit einer Investment-Gesellschaft ein steuermindernder gemeinnütziger Aktienfonds gegründet, der allerdings immer noch unterhalb der Rentabilitätsgrenze operiert. Andere NGOs kommen auf die Idee, bei der Vermittlung von „ethischen“ Versicherungspolicen an ihren Mitgliedern mitverdienen zu wollen. Die Praxis britischer NGOs, per Videofilm aktiv für ein Testament zu eigenen Gunsten zu werben, hat indes in Deutschland noch nicht die Schamschwelle überwunden.

Nicht die Zwänge des Marktes verinnerlichen

Die Industrie spendet für Hilfswerke und NGOs und kann sich im Gegenzug mit einem altruistischen Image schmücken. Für die Industrie bleibt dieses „social sponsoring“ meist nur ein Werbegag. Die NGOs aber laufen Gefahr, ihre Seele zu verkaufen und in eine neue Abhängigkeit zu rutschen. Die viel zitierte internationale Zivilgesellschaft bleibt aber eine bloße Schimäre. Denn wer die Zwänge des Marktes verinnerlicht und Kampagnen allein danach auswählt, ob sie „gut ankommen“, also Medienresonanz garantieren und das Spendenaufkommen erhöhen, hat auf den Anspruch, politisch einzugreifen, im Grunde schon verzichtet.

Der Staat, in Gestalt von Regierungspolitikern und Ministerialbeamten, war für NGOs meist ein klar benennbarer Gegner. Der Markt ist eine anonyme, nicht angreifbare Macht. Wenn entwicklungspolitische NGOs langfristig Erfolg haben wollen, müssen sie sich aber genau gegen diese anonyme Marktgewalt richten – gegen die transnationalen Konzerne, die auf der Suche nach den niedrigsten Löhnen die ganze Welt zum Spielfeld machen, die internationalen Finanzmärkte, die in einer Stunde mehr Geld bewegen als alle NGOs zusammen in einem Jahr, und auch die Welthandelsorganisation (WTO), die eine neoliberale Wirtschaftspolitik weltweit festschreibt und auch die Entwicklungsländer (sofern sie sich nicht gerade in Schwarzafrika befinden) durch Patentgesetze und Investitionsschutzabkommen fest in ihren Verwertungszusammenhang einbinden will. Sie müssen ihre Arbeit stärker politisieren, müssen mit ihrer Arbeit bei der Veränderung im eigenen Land beginnen.

Der Text ist die überarbeitete Fassung eines zuerst in den Blättern des iz3w erschienenen Artikels. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Informationszentrums Dritte Welt (iz3w) Freiburg.