"Die Polizei muß bürgernah arbeiten"

■ Renate Künast, Grüne im Berliner Abgeordnetenhaus, über alternative Sicherheitspläne. Kernstück der Vorschläge: Präventionsräte in den Wohnvierteln und eine Polizei, die mit ihnen zusammenarbeitet

taz: Warum tun sich die Grünen mit dem Thema innere Sicherheit so schwer?

Renate Künast: Wir haben uns zu lange damit aufgehalten, zu erklären, was wir nicht wollen. Die Parteispitze hat die innere Sicherheit immer als delikates Thema empfunden. Die einen wollten Therapie statt Strafe, andere bei Delikten gegen Frauen die Strafe erhöhen. So wurde das Thema gemieden, zumal sich viele gegenüber rechten Law-und-Order-Politikern immer in der Defensive gefühlt haben. Dennoch hatten wir eine ganze Menge zu bieten.

Was denn genau?

1990 haben wir ein Gutachten vorgestellt, das eine Umstrukturierung der Polizei vorgeschlagen hat, um diese bürgernäher zu machen. Wir haben auch Präventionskonzepte entwickelt. Das Problem ist nur: Wenn Menschen Angst haben, fordern sie eine schnelle Lösung, irgend etwas, das ihnen vordergründig mehr Sicherheit verspricht. Da sind wir mit unseren differenzierten Ansätzen nicht durchgedrungen.

Wie wollen die Grünen aus dieser Defensive herauskommen?

Unsere Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht arbeitet an einem alternativen Sicherheitskonzept. Es geht darum, öffentliche Sicherheit als zivilgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen. Statt dies an Ordnungshüter zu delegieren, können Bürgerinnen und Bürger gemeinsam die Ordnung hüten. Neben der Einrichtung von Präventionsräten reicht das Konzept von einer anderen Stadtentwicklungs- und Drogenpolitik bis zu Selbstbehauptungstraining für Frauen und der Effektivierung der Polizeiarbeit.

Was könnte denn ein Präventionsrat leisten?

Als erstes müßten sich die Beteiligten ein Bild von der Kriminalitätslage in einem Wohngebiet machen. Wo gibt es tatsächlich ein hohes Kriminalitätsaufkommen? Wo besteht nur das Gefühl der Unsicherheit? Dann kann man Bereiche, in denen sich Leute unsicher fühlen – ob das Durchgänge sind, ein Tunnel, Sportanlagen oder Parks – umgestalten. Wohnviertel müssen durch vielfältige Nutzung belebt statt entvölkert werden.

Welche Rolle spielt die Polizei?

Häufig hat die Polizei in den Präventionsräten die Federführung übernommen. Das führt leider dazu, daß vieles nur um technische Prävention und verstärkte Polizeipräsenz geht. Das demotiviert Bürgerinnen und Bürger, die sich engagieren wollen. Die Bürgermeister – egal wo – müssen als erstes Vereine, Kinderläden, Drogenberatungsstellen, Gewerbetreibende und Anwohner ermutigen. Erst nachdem der Kern des Präventionsrats gebildet wurde, kann die Polizei eingebunden werden – um ihr Fachwissen einzubringen.

Gibt es Beispiele, wo Ihre Ideen sich schon bewährt haben?

Bürgerinnen und Bürger sagen, daß sich ihr Sicherheitsgefühl verbessert hat, wenn sich optisch einiges verändert hat. Fahrraddiebstähle haben abgenommen, nachdem die Abstellplätze an belebte Orte verlegt wurden. Aber in vielen Fällen hat sich die Häufigkeit von Kriminalität nicht verändert.

Was bringt es dann?

Präventionsräte sind eine Möglichkeit, mir mein Wohnumfeld so zu organisieren, daß ich mich dort ohne Angst bewegen kann.

Sie sprechen sich für „Mehr Grün auf die Straße“ aus. Was heißt das?

Dahinter verbergen sich zwei Konzepte. Der Berliner Innensenator versteht darunter, daß überall Polizei patrouilliert. Wir sagen: verstärkte Polizeipräsenz erst dann, wenn alle anderen Lösungen nicht mehr greifen. Die Polizisten müssen weg vom Schreibtisch, raus aus den Streifenwagen und statt dessen Streifengänge machen. Und befördert wird, wer bürgernah arbeitet, und nicht, wer Akten bearbeitet.

Wird die innere Sicherheit für die Grünen nun zum Wahlkampfthema?

Ja, schon deshalb, weil wir CDU und SPD etwas entgegensetzen müssen. Und wenn wir uns an Regierungen beteiligen wollen, müssen wir gerade auf diesem Gebiet etwas anbieten. Es wird allerdings nicht einfach sein, unseren ganz anderen Ansatz zu vermitteln.

Wie wollen die Grünen das Thema ihren Stammwählern und Stammwählerinnen schmackhaft machen – die ja ein ausgesprochen kritisches, wenn nicht gar feindliches Verhältnis zur Polizei haben?

Viele unserer Wähler und Wählerinnen werden uns zustimmen, daß Polizei eine gesellschaftliche Funktion hat. Es gibt aber vehemente Kritik daran, wie sich Polizei bei Großeinsätzen von Wackersdorf bis Gorleben hat mißbrauchen lassen, um der Politik die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Der Kern von Polizeiarbeit als Helfer in Notsituationen wird auch innerhalb der Grünen nicht in Frage gestellt. Interview: Dorothee Winden