Geduldige Schneckenjagd als Therapie

Die „Alster Gärtner“: eine Alternative zum tristen Wohngruppenalltag  ■ Von Lisa Schönemann

Doris Moorbach* hat in aller Herrgottsfrühe die Schnecken von den Kräutern abgesammelt. Bis die ersten Kunden in die Gärtnerei in Hamburg-Farmsen kommen, sitzt die psychisch kranke Frau auf einer Holzbank und wartet darauf, daß die anleitende Gärtnerin des Arbeitsprojektes der Alsterdorfer Werkstätten Zeit für sie hat.

Im Gewächshaus riecht es nach Basilikum. Doris Moorbachs schwergewichtiger Kollege Thomas Darius* läuft sichtlich verlangsamt mit schlürfenden Schritten hin und her. Dann beginnt er, Blumenerde in einen großen Bottich zu schaufeln. Zehn ehemalige Psychiatriepatienten, die jetzt in Wohngruppen im benachbarten Pflegezentrum Farmsen leben, haben hier eine Arbeitsmöglichkeit gefunden. Mühsam versuchen die Psychotiker, Jungpflanzen zu ziehen oder Duftgeranien umzutopfen. Für einige bedeutet es eine ungeheure Anstrengung, konzentriert welke Blätter von Pflanzen zu zupfen. Jahrelang hockten sie früher den ganzen Tag lang untätig auf dem Flur einer Station.

„Das Durchhaltevermögen und die Feinmotorik werden durch die vielen Tabletten enorm beeinflußt“, hat die anleitende Gärtnerin Ute Süphke beobachtet. Sie sieht geduldig darüber hinweg, daß die zehn beschäftigten Frauen und Männer keinerlei Fachwissen mitbringen. Immer wieder gliedert sie die Arbeitsabläufe in überschaubare Schritte, um niemanden zu überfordern und dennoch die Pflanzen für den Verkauf herzurichten.

Auch die betreuende Sozialarbeiterin hat sich darauf eingestellt, daß die Langzeiterkrankten ohne Dauermedikamentierung nicht zurechtkommen. „Eine handfeste Psychose ist nicht so leicht zu besiegen“, sagt Barbara Lambrecht. Außer um die Klientel der Gärtnerei kümmert sie sich noch um vierzehn weitere Kranke, die in den anderen Alsterdorfer Werkstattprojekten jobben. Die Arbeitsaufnahme der Erkrankten wird durch das Amt für Rehabilitation ermöglicht.

„Die Arbeit gefällt mir“, sagt Elke Schmidt*, „was gelb oder vertrocknet aussieht, kommt weg“. Die 39jährige arbeitet seit zwei Jahren in der Gärtnerei und führt sogar Gespräche mit Hobbygärtnern, die sich von ihr beraten lassen. Andernfalls würde sie im Pflegeheim „nur herumsitzen oder Mensch-Ärgere-Dich-Nicht spielen“. Viele Mitpatienten hören stundenlang Musik oder sitzen vor dem Fernseher, um die Stimmen in ihren Köpfen zu übertönen. Stattdessen arbeitet Elke Schmidt jeden Tag von 8 bis kurz vor 12 Uhr.

„Eigentlich müßten wir mehr verdienen“, sagt ihr jüngerer Kollege und räumt ein, daß ihm gerade das zum Verhängnis werden könnte. Nach fast zehn Jahren Psychiatrie versucht er jetzt, nicht nur mit seiner Erkrankung, sondern obendrein mit seiner Spielsucht fertig zu werden. Einen Besen schwingend behauptet er zähneknirschend, in den letzten Jahren 50.000 Mark verspielt zu haben. „Heute sind es höchstens noch ein paar Mark am Tag.“Die Gärtnerei, die auf der Basis von Pflegesätzen und vom Pflanzenverkauf lebt, kann pro Kopf monatlich nicht mehr als 120 Mark bezahlen.

Die Gärtnerei „Alster Gärtner“( 64592230) in der August Krogmann Straße 100 ist montags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr und freitags bis 12.30 Uhr geöffnet.

* Namen v. d. Red. geändert