■ Nachschlag
: Bill T. Jones beim „Tanz im August“

Seine Memoiren hat er schon geschrieben. Was nicht heißt, daß von Bill T. Jones künstlerisch nichts mehr zu erwarten wäre. Vor zwei Jahren verarbeitete der afroamerikanische Tänzer und Choreograph, der seinen Partner Arnie Zane durch Aids verloren hat und selbst seit über zehn Jahren HIV-positiv ist, Videoaufnahmen von Todkranken in seiner Choreographie – und wurde heftig dafür angegriffen. Es sei „victim art“, Kunst, die mit dem Mitleid der Zuschauer spekuliere. Um so entschiedener lenkt Bill T. Jones mit seinen neuen Choreographien den Blick wieder auf das, was seine Arbeit seit über zwanzig Jahren ausmacht: die Suche nach einer neuen Körpersprache im Modern Dance. Das Solo „Blue Flame“, das den Abend eröffnet, ist eine tänzerische Variation zum Thema Abstraktion. Blaue Rechtecke an die Rückwand der leeren Bühne projiziert, eine blaugekleidete Tänzerin. Ihr Tanz, voll weicher Schlängelbewegungen, folgt weniger der monochromen Strenge der Bühne als den verspielten Improvisationen des Saxophons: wie eine Fingerübung, die das ganze Bewegungsrepertoire durchspielt.

In der Choreographie „Lisbon“ ist es die Technik der Collage, die die Struktur vorgibt. Hardcore-Rap wechselt mit portugiesischer Folklore. Das tänzerische Personal ist eine Ansammlung von Individuen: das zarte Mädchen im Trachtenkleid, der bullige schwarze HipHop-Tänzer, die Strandschönheit. Wenn zwei, drei, vier Tänzer ihre Bewegungen mit einer beiläufigen Geste synchronisieren, entstehen flüchtige Allianzen, die sofort wieder auseinanderbrechen. Wie das Versprechen einer Harmonie, die längst anachronistisch ist, formieren sich die Körper zur gleichen Pose; und schon laufen sie wieder auseinander. Einzigartig, wie Bill T. Jones das Prinzip des Ensembletanzes dekonstruiert. In dem Duett „Soon“ dagegen dürfen zwei Tänzer ausgiebig zueinanderfinden: Zu ergreifenden 20er- Jahre-Chansons proben die Männer das Spiel der Verführung und verwickeln sich gegenseitig in elegante Hebefiguren.

Mit der Choreographie auf Kurt Schwitters „Ursonate“ schließlich führt Bill T. Jones die Befreiung der Form vom Inhalt in eine wunderbare Heiterkeit. Zu Schwitters Vokal- und Konsonantenflut zeigt das Ensemble, weiß vor rotem Hintergrund, Fingerschnipsen und virtuose Sprünge, Zungenzucken und Nasenzupfen. Matratzen werden hineingetragen und wieder hinausgeschoben. Wer den andern nicht hochhebt, küßt ihn halt auf die Nase, und Bill T. Jones selbst beginnt zu singen. Das enthusiastische Klatschen des Publikums honorieren die Tänzer mit fröhlichen kleinen Hüpfern. Elke Buhr