■ Höge auf Niedersachsens Höfen
: Filetstücke im Speckgürtel

Helmut Höge, anarchistischer Journalist des Alltags und bekannter taz-Autor, durchstreift im Sommer unsere schöne Republik und sucht auf seiner Nord- Süd-West-Ost-Tour Dokumente deutscher Lebenskunst.

Die unselige deutsche Politik, Immobilienerwerb statt Produktion steuerlich zu begünstigen, stammt noch aus dem „Volk braucht Raum“-Programm. Sie läßt überall Speckgürtel – „Oasen am Rande der Stadt“ – entstehen. Parallel dazu wird z. B. in Niedersachsen das anhaltende Bauernlegen mit der Parole verklärt: Die schrumpfende Zahl von Höfen mache die verbliebenen „wettbewerbsfähiger“.

Früher zogen hier Landkommunarden mit Abitur oder subproletarische Hundezüchter und Autobastler nach. Jetzt ist es die Mittelschicht. Ich komme gerade pünktlich zum Richtfest des „Jacobs-Hofs“. Eine Art Stiftungsprojekt der „Familie Jacobs“, die unlängst ihr Kaffeeimperium verscheuerte. Während der Sohn teure Anarcho-Reprints sammelt, ist die Tochter sozial engagiert: Auf dem riesigen Borgfelder Niedersachsen-Hof sollen einmal eine Kita mit Wohnungen für ledige Mütter sowie ein autofreier Lehmofen mit Solarenergie und ein Backhaus samt Fahrradwerkstatt entstehen. So ähnlich annonciert es das Bauschild.

Zum Richtfest sind die männlichen Handwerker und weiblichen Architekten angerückt. Ein neben mir Sitzender meint: „Damit werden nicht nur alle Fördertöpfe angetippt, da högt sich auch jede Randgruppe.“ Von einer Ingenieurin der Hamburger Gaswerke, die man zum Ausspionieren einiger Folgen der globalen Entmonopolisierung in die privatisierten Londoner Gaswerke geschickt hatte, weiß ich, daß ihre Firma jedes Jahr eine „Elb-Höge“(-Feier) für die Mitarbeiter veranstaltet.

Statt der Gaswerke besuche ich den Künstlerinnenhof „Die Höge“ – zwischen Syke und Bassum in Högenhausen, wo eine der Stipendiatinnen, die Hamburgerin Susanne Klippel (verheiratete Amatosero), mich sogleich kollegial begrüßt: „Das hätte ich mir eigentlich denken können, daß du hier aufkreuzt!“ Sie war auf dem 14tägigen interdisziplinären Symposium „Der Höge“ als Literatin eingeladen worden. Die übrigen Frauen waren dagegen bildnerisch tätig. Während es für sie darum ging, auf dem ehemaligen Bauernhof mit Garten und Pferdeweiden drum herum wieder an die elementaren Dinge anzuknüpfen, dies jedoch eher mit spielerischen Materialsubtilitäten als mit männlich-markanter Land-art, arbeitete Susanne an einem Text über die Entstehung der Schriftsprache aus den Lauten, wobei sie zwanglos vom alten Buchdruck auf den Buchenhain vor Ort kam, in dem derweil Henriette mit 13 Kilometer Sisaltau hantierte und Doris einen Prosatext Wort für Wort auf eine Reihe Stämme übertrug.

Der Künstlerinnenhof „Die Höge“ gilt weit und breit als einzigartig. Auch hierfür kam die finanzielle Initiative von einer reichen Frau: Barbara Reinhart, hinter der die Schweizer Paul- Reinhart-Stiftung steht. Sie tat sich mit einer weiteren Barbara zusammen, erwarb den Hof von einem Ehepaar, das dort psychologische Kurse durchführte und sich zerstritt, engagierte eine zusätzliche Organisatorin und baut nun die Ikea-Meditationszellen zu Monte-Verita-Ateliers aus. Seit 1996 werden immer wieder Frauen angesprochen, dort einige Zeit zu arbeiten, um anschließend gemeinsam eine Ausstellung, eventuell mit einer Performance in der Scheune, zu eröffnen. Dazu werden dann Kunstinteressierte aus ganz Norddeutschland eingeladen, nicht zuletzt, um darunter Sponsoren und Mäzene für „Die Höge“ zu finden.