Immer am Ohr des russischen Präsidenten

■ Jelzins Ex-Leibwächter, Alexander Korschakow, hat über seine Erfahrungen im Kreml ein Buch geschrieben. Sein Fazit: Nur er selbst ist unschuldig, alle anderen sind korrupt

Moskau (taz) – „Boris Jelzin: vom Morgengrauen bis Sonnenuntergang“ lautet der Titel eines gestern in Moskau präsentierten Werkes. Mit dem Lächeln der Mona Lisa und dem Blinzeln eines Schweinchen Schlau führte der Ex- Chef der Wache des Präsidenten, General Alexander Korschakow (47), den Journalisten allerdings nur einen Schutzumschlag vor statt des langerwarteten kompromittierenden Materials. Immerhin, mit der unter russischen Politikern üblichen Verfrühung veröffentlicht seine Memoiren endlich auch dieser sonst nicht wortgewaltige Mann, der sein Erwachsenenleben bis Sommer 1996 hautnah am Jelzinschen Leib verbrachte. Ein Kapitel durfte schon am Freitag die Tageszeitung Komsomolskaja Prawda vorveröffentlichen. Da blieb kein Zweifel, wem Korschakow die Schuld an den von ihm selbst während seiner Amtszeit begangenen Rechtsverletzungen gibt: nämlich seinen Nachfolgern am Ohr des Präsidenten, dem stellvertretenden Sicherheitsrats-Sekretär und Mega-Autohändler Boris Beresowski sowie Jelzin-Tochter, Tatjana Djatschenko.

Daß der getreue Security-General im Dezember 1994 die Mannen der präsidialen Leibwache zu einem aufsehenerregenden Überfall auf das Zentralbüro der Most- Bank hetzte, der Hochburg des Medienzaren Wladimir Gusinski, war demnach nur den bösen Einflüsterungen Beresowskis zu verdanken. Darüber hinaus soll der heutige stellvertretende Sicherheitsrats-Sekretär permanent versucht haben, bei Korschakow Morde zu „bestellen“. Warum Beresowski die Wache des Präsidenten als ideale Adresse für solche Aufträge betrachtet haben soll, bedarf bei Korschakow keiner Erklärung.

Dagegen beschreibt der Ex- Oberwächter, wie Beresowski Einfluß gewonnen habe, indem er Jelzins Tochter „schnell knackte“. „Tatjana hat Geschenke gern“, schreibt Korschakow. „Und Beresowski schenkte ihr erst einen Niwa, später einen Chevrolet.“ Verleumdungsklagen, so versicherte gestern der einstige Kreml- Paladin, fürchte er nicht. Angst bestehe dagegen auf seiten des Jelzin- Clans, der ihm für eine Nichtveröffentlichung des Buches fünf Millionen Dollar geboten habe. Der gegen Ende seiner Kreml-Ära allgewaltige Korschakow unterhielt in seiner Wache eine Abteilung für Astrologie. Trotzdem versicherte er gestern: „Jeder hat seine Auffassung von Gewissen. Meine steht, glaube ich, der christlichen Tradition näher als die des Präsidenten.“ Barbara Kerneck