ETA im Net bombardiert

■ Provider für Eta-nahe Webpage muß diese löschen, weil Protestmails den Firmenservice zum Erliegen brachten

„Wo hören die Proteste auf, und wo fängt die Zensur an?“ lautet die unter den spanischen Internauten derzeit am meisten debattierte Frage. Auslöser sind die spontanen Aktionen, die dazu führten, daß das Euskal Herria Journal, eine ETA-nahe Website, (http://www .igc.apc.org/ehj) seinen Betrieb einstellen mußte, nachdem die spanischsprachige Internautenwelt ihrem Unmut über die kaltblütige Ermordung des konservativen Gemeinderates im baskischen Dörfchen Ermua, Miguel Ángel Blanco, auf elektronischem Wege Luft gemacht hatte.

Net Sites aus dem ETA-Umfeld wurden mit Protest-E-Mails beschickt. Neben dem Euskal Herria Journal traf es auch den Verlag Txalaparta, der unter anderem eine „Geschichte von Euskadi ta Azkatasuna (ETA)“ („Baskenland und Freiheit“) im Programm führt (TXALAPARTA@eusnet .org), und eine Gruppe, die Gefangene aus der ETA betreut (presoak@geocities.com).

Was mit argumentativen Protestbriefen begann, endete schnell im E-Mail-Bombing. Vor allem das Euskal Herria Journal und dessen Provider, das kalifornische Institut for Global Communication (IGC), wurden Opfer der sich stets wiederholenden sinnlosen Nachrichten aus ellenlangen Dateien.

Die Folge der Aktion, zu der neben verschiedenen Friedensgruppen wie Gestos por la Paz (http:// www.kender.es/gesto/) und der seit Frühjahr 1996 nach dem Mord an einem Juraprofessor von Studenten der Madrider Universität Autonoma betriebenen Internetseite Manos Blancas – „Weiße Hände“ (http://manos-blancas .uam.es) – auch die spanischsprachige Internetsuchmaschine Olé (http://www.ole.es) und die größte Tageszeitung des Landes, El Pais (http://www.elpais.es), aufgerufen hatten: Das E-Mail-System von IGC brach vollständig zusammen.

Dem Direktor des Providers, Scott Weikart, blieb nichts anderes übrig, als „den schwierigen Entschluß zu fassen und die Website von Euskal Herria Journal gegen unseren Willen zu löschen, um auch weiterhin so grundlegende Internet-Serviceleistungen wie die E-Mail für unsere knapp 13.000 Abonnenten aufrechterhalten zu können“.

Während die baskische Tageszeitung El Correo (http://www .diario-elcorreo.es) jubelte: „Das Internet hat seine Unschuld verloren“, begann in der linken Internautenszene die Debatte. „Das ist, als hätte man eine Buchhandlung angezündet, um gegen ein einzelnes Werk zu protestieren“, empört sich der IGC-Chefprogrammierer Mauren Mason. Denn IGC ist nicht irgendein Anbieter. Zusammen mit APC (Association for Progressive Communication) verschafft das Unternehmen vor allem regierungsunabhängigen Organisationen Zugang zur virtuellen Welt.

Ein Pyrrhussieg sei das gewesen, meinen auch in Spanien viele derer, die sich an einer Debatte zum Thema Zensur in einem eigens eingerichteten Forum der Internetzeitschrift iworld (http:// www.idg.es/iworld/especial/basta_ ya.htm) beteiligen. „Denn Ziel unseres Kampfes kann es nicht sein, sie zum Schweigen zu bringen, sondern sie mit Argumenten zu überzeugen, auch wenn das nur eine Utopie mehr ist“, heißt es dort. Im gegenteiligen Falle, so argumentiert ein Artikel der Gruppe Fronteras Electrónicas España (http:// www.arnal.es/free/), „kann morgen jeder x-beliebige Provider vor dem gleichen Problem stehen, wenn eine genügend große Gruppe von Internauten eine bestimmte Seite stört, die z.B. für das Recht auf freie Abtreibung eintritt, Pornographie beinhaltet oder die politische Repression in einer Diktatur anklagt“. Reiner Wandler

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