Das letzte Schiff – und tschüs!

Am Freitag macht die Bremer Vulkan-Werft dicht – und die Arbeiter können es noch immer nicht glauben. Neue Jobs finden nur die Jüngeren; die Altgedienten, loyal bis zum Schluß, werden Frührentner  ■ Von Joachim Faruhn

Neulich ist ein Kollege in ihr Büro gekommen. Wann mit dem nächsten Schiff angefangen werde, wollte der wissen. Gisela Rexhausen lacht bitter. „Manche glauben immer noch nicht, daß hier wirklich Schluß ist.“ Heute berät die Betriebsrätin der Vulkan-Werft Arbeiter auf der Suche nach neuen Jobs. Aber Ungläubige gibt es nicht wenige im Bremer Werft- Stadtteil Vegesack. Schließlich haben schon die Großväter beim Vulkan große Seeschiffe gebaut, nach eigener Einschätzung die besten der Welt. Aber in dieser Woche schließt die Werft für immer – nach 103 Jahren. „Ende 17.4. 1997. Josef“ hat ein Schiffbauer in einer Ecke der Stahlbauhalle mit Kreide an die Wand gekritzelt. Hier ist die Arbeit schon vor ein paar Monaten ausgegangen. Wo früher schwere Pressen die Bleche in Form hämmerten und Schweißer die Einzelteile zu Schiffsteilen groß wie Einfamilienhäuser zusammenfügten, ist jetzt kein Laut zu hören. In den Spinden hängen nur noch die Pin-ups. Die 300 letzten Vulkanesen – vor dem Konkurs im Mai 1996 waren es fast 2.000 – schrauben und streichen noch an Bord des letzten Containerschiffes, das am Werftpier in Weiß und Blau in der Sonne glänzt. „Ohne Überstunden ist der Vulkanese nicht glücklich“ lautete das Motto auf der Werft in besseren Tagen. Am Freitag wird das Schiff mit der Baunummer 111 an die Hamburger Reederei Hanse- Treuhand übergeben. Die Schiffstaufe fällt aus. Auf ein feuchtfröhliches Zusammenkommen hätte auch kaum einer Lust, sagt ein Elektriker. Schließlich haben die Hamburger das Schiff zum Schleuderpreis von 56 Millionen Mark bekommen. Die stolzen Vulkanesen machen es am Ende billiger als die Koreaner. Das wurmt.

Das letzte Schiff geht zum Schleuderpreis weg

Bis zuletzt hatten Betriebsräte und Bremer Politiker den Arbeitern Hoffnung gemacht, daß es weitergeht mit dem Schiffbau in Bremen. Mit 20 Prozent weniger Lohn, mit unbezahlten Überstunden: Die IG Metall hatte alles geschluckt, um die Kosten zu drücken. Die Chefs saßen unterdessen in ihren Büros im Verwaltungshochhaus – in einem schattigen Park abseits vom Werksgelände. „Der Konkursverwalter hat aus der Geschäftsführung keinen einzigen Mann rausgeschmissen!“ empört sich ein Arbeiter, der seinen Namen lieber nicht nennen will. Das Klima auf der Werft ist nicht eben entspannt in den letzten Tagen. Wer nicht mitgezogen und weitergeschuftet hat, wurde zum Drückeberger gestempelt, erzählt der Arbeiter. Während die einen alles daransetzten, den maroden Betrieb zu erhalten, haben sich andere nach einer Alternative umgeschaut. „Was soll ich da noch?“ fragt ein 55jähriger. Seit dem Konkurs hat er nie mehr einen Fuß auf das Gelände gesetzt, wo er 34 Jahre lang gearbeitet hatte.

Der Riß durch den Vulkan verläuft genau am Tor Lobbendorf. Links sitzt über den Räumen der Betriebskrankenkasse die Beschäftigungsgesellschaft Mypegasus, wo Gisela Rexhausen und ihre Kollegin Karla Krenz Schiffbauer in andere Jobs oder in Qualifizierungskurse des Arbeitsamts vermitteln. Heller Teppichboden, frische Farbe und Topfpflanzen und ein paar Stellenangebote an der Stelltafel signalisieren: Es geht weiter, irgendwie. Rechts sitzt der Betriebsrat, neben der Geschäftsführung die zweite Machtzentrale im sozialdemokratisch durchwirkten Vulkan-Betrieb. Tausende schwerer Schiffbauerstiefel haben den Linoleumboden abgetreten, die Farbe blättert von Wänden und Fensterbänken. Hier hat die Mehrheit des Betriebsrates unter der Führung des inzwischen zurückgetretenen Vorsitzenden Hasso Kulla, der für die SPD eine Hinterbank in der Bremer Bürgerschaft drückt, bis zuletzt Überlebenskonzepte für den Schiffbau geschmiedet.

Bei Mypegasus sitzen aus ihrer Sicht die Verräter, die die jungen und leistungsstärksten Arbeiter weggelockt haben von der Werft. Fast 600 Vulkanesen haben einen neuen Job gefunden. In Handwerksbetrieben und Zeitarbeitsfirmen, im Bremer Mercedes-Werk oder in der Stahlhütte. „Schwere Arbeit sind die ja gewöhnt“, sagt Karla Krenz und ist ein bißchen stolz darauf, wenigstens ein paar Kollegen vor dem Sturz in die Arbeitslosigkeit bewahrt zu haben. Am Tag nach dem Konkurs im Mai 1996 waren alle Vulkanesen in die Beschäftigungsgesellschaft Mypegasus gewechselt, wo sie Kurzarbeitergeld bekommen. Nach Bedarf wurden sie an die Werft ausgeliehen. Dieses Konzept einer Beschäftigungsgesellschaft hatte der IG-Metall-Anwalt Jörg Stein ausgeklügelt.

Doch obwohl die IG Metall die Vulkanesen seinerzeit gedrängt hatte, auf ihre Ansprüche gegen ihre Firma zu verzichten und für Mypegasus geworben hatte, „haben sich die Kollegen aus dem Betriebsrat noch nie hier blicken lassen“, sagt Gisela Rexhausen, selbst IG-Metallerin, Betriebsrätin und jetzt für Mypegasus tätig. Die hätten den Leuten immer nur falsche Hoffnungen gemacht. „Und wir haben hier die Enttäuschung ausgebadet“, sagt Rexhausen. „Was wir hier von den Kollegen zu hören bekommen haben...“ Niemals habe der Betriebsrat, der sonst stets die Solidarität der Vulkanesen beschworen habe, die Kurzarbeiter zusammengerufen und ihnen reinen Wein über ihre Zukunft eingeschenkt. „Das ist Feigheit“, sagt Karla Krenz, und ihre Stimme stockt.

Jetzt schließt der Vulkan. Nur der Ökumenische Runde Tisch Vulkansolidarität, in dem Kirchengemeinden und soziale Einrichtungen aus Bremen-Nord zusammenarbeiten, hat für den Tag der letzten Schiffsübergabe vor das Werkstor eingeladen. Dieser Verein ist eine Hoffnung in Bremen-Nord. „Ich bekomme da eine ABM- Stelle“, sagt Karla Krenz. Richtig freuen kann sie sich nicht. Ihre Kollegin Rexhausen wird wohl arbeitslos. „Ich hab' nichts gelernt, da habe ich wenig Chancen. 27 Jahre im Konstruktionsbüro des Vulkan: Diese Qualifikation ist nicht mehr sehr gefragt in Vegesack, wo die Arbeitslosenquote bei über 18 Prozent liegt. Viele der oberen Betriebsräte fallen weich nach der Schließung der Werft. Sie bekommen Jobs bei der Projektgesellschaft, die mit Geld des Bremer Senats an Ideen für das 40 Hektar große Werftgelände arbeiten soll. Der Vorsitzende Hasso Kulla behält sein Bürgerschaftsmandat.

„Das ist der Lohn dafür, daß sie Ruhe gehalten haben auf der Werft“, vermutet ein Schiffbauer, auf den mit 52 nur noch die Arbeitslosigkeit wartet. Denn trotz aller kämpferischen Parolen: Mit Ausnahme einiger Demonstrationen haben sich die Vulkanesen widerstandslos in ihr Schicksal gefügt. Obwohl einige sofort das Gelände besetzen wollten, als das Aus feststand, hat die Mehrheit brav weitergearbeitet und die letzten Schiffe pünktlich fertiggemacht.

Die Vulkanesen haben sich widerstandslos gefügt

Das Land Bremen hat dadurch viele hundert Millionen Mark gespart, mit denen der Senat den Bau der Schiffe abgesichert hatte. „Arbeiterehre“, vermutet Hans-Joachim Olczyk, als Chef von Mypegasus zugleich der Buhmann für den Durchhalteflügel des Betriebsrats. „Arbeiten bringt einen Tausender mehr im Monat als Kurzarbeit“, rechnet dagegen Betriebsrat Jörg Spallek vor. Die Autos, die noch vor dem Werfttor parken, sind teuer, etliche schmucke Reihenhäuser wollen auch abbezahlt werden. „Da werden viele jetzt Probleme bekommen“, weiß Karla Krenz, die sich demnächst in einer Sozialberatung weiter um ihre Kollegen kümmern wird.

Ein letzter Schlag droht den früher so selbstbewußten Schiffbauern: Wenige Meter flußaufwärts dümpelt der Rohbau des größten jemals in Deutschland begonnenen Kreuzfahrtschiffes auf der Weser, zwölf Decks hoch, 300 Meter lang und weithin sichtbar über Deich und Auenwiesen. Bisher will niemand den Stahlkoloß mit dem schmucken spitzen Bug kaufen. „Costa Rosta“ sagen die Leute in Vegesack, nach dem italienischen Auftraggeber Costa.

Maschinen, Stahl und Arbeitsstunden für 270 Millionen Mark schaukeln auf der Weser, schätzt der Vertriebschef der Werft, Hans- Jörg Glahr. Doch der Rohbau ist auch zum Fast-Schrott-Preis von 46 Millionen Mark nicht loszuschlagen. Wenn alles schiefgeht, müssen am Ende die Schiffbauer Schneidbrenner zur Hand nehmen und ihr größtes Werk eigenhändig wieder zerlegen.