Mesut Yilmaz bläst zum Kulturkampf

Mit einem neuen Bildungsgesetz will die türkische Regierung religiöse Schulen schließen – und damit der islamistischen Opposition an den Kragen. Heute beginnt die Parlamentsdebatte  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Es sei ganz selbstverständlich, daß „Menschen der Finsternis, die sich mit Dummheit nähren, beunruhigt sind“, donnerte der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz. Der Vorwurf ging an die Adresse der islamistischen Wohlfahrtspartei, Refah, die eine Gesetzesvorlage der Regierung zur Erhöhung der Grundschulpflicht von fünf auf acht Jahre verhindern will. Die Kritiker der Bildungsreform verglich der Ministerpräsident mit „Fledermäusen“.

Mit einem „Aufruf an die Nation“ gestern abend legte Yilmaz noch einmal nach. Nur um das neue Bildungsgesetz zu verabschieden, wurde der Beginn der parlamentarischen Sommerpause verschoben. Heute beginnen die Beratungen im türkischen Parlament. Noch in dieser Woche soll die Abstimmung erfolgen. Die bürgerliche Koalitionsregierung unter Yilmaz, die zustandekam, um die islamistische Wohlfahrtspartei aus der Regierung auszuschließen, hat sich auf die Bildungsreform, die die Militärs im März dieses Jahres auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates forderten, eingeschworen.

Der Bildungssektor erscheint als wichtigstes Feld, auf welchem Säkulare und Islamisten sich bekriegen. Kein anderes Thema hat in der letzten Zeit in der Türkei derart scharfe politische Kämpfe zur Folge gehabt wie die scheinbar nur bildungspolitische Entscheidung, die Grundschulpflicht zu erhöhen. Die Maßnahme ist Mittel zum Zweck, um der Islamisierung der Gesellschaft entgegenzutreten. Denn die Erhöhung der staatlichen Grundschulpflicht auf acht Jahre würde zur Schließung zahlreicher religiöser Schulen (Imam Hatip Schulen), die islamische Geistliche ausbilden, führen.

Während 1951 gerade 1.200 Schüler in der gesamten Türkei religiöse Mittelschulen besuchten, sind es mittlerweile fast 500.000. Ursprünglich waren die religiösen Schulen dazu gedacht, den Bedarf der Moscheen an theologisch ausgebildeten Kräften sicherzustellen. Mittlerweile sind die Schulen jedoch zu einer Art alternativer Bildungsinstitution geworden und haben faktisch ein duales Bildungssystem etabliert. Nur ein kleiner Bruchteil der Absolventen findet Beschäftigung in einer der staatlichen Moscheen. Hinzu kommt, daß auch Mädchen in die religiösen Schulen aufgenommen werden, obwohl das Wirken von Frauen als islamische Geistliche nicht vorgesehen ist.

Die religiösen Schulen – so der Vorwurf der Kritiker – seien längst nicht mehr Bildungsstätten für werdende Geistliche, sondern Orte zur ideologisierten Erziehung von Kindern. Säkularisten wettern, die Schulen seien die Brutstätten, in welchen militante Islamisten großgezogen würden. Obwohl die religiösen Schulen formell der Kontrolle des Erziehungsministeriums unterstehen, verheimlichen viele Lehrkräfte nicht ihre politische Nähe zur islamistischen Bewegung.

Kein Wunder also, daß die Debatte um die Bildungsreform scharf geführt wird. Unter ungeheurem Einsatz haben Abgeordnete der Wohlfahrtspartei vergeblich versucht, die Verabschiedung der Gesezesvorlage in der Haushaltskommission zu verhindern. Auch die Demonstrationen nach den Freitagsgebeten in den Moscheen erzielten bislang nicht die gewünschte Massenmobilisierung. Eine Großdemonstration, die die islamistische Bewegung heute in der Hauptstadt Ankara durchführen wollte, wurde kurzerhand verboten.

Die Islamisten haben zivilen Widerstand angekündigt – beispielhaft die Bürgerinitiative in der anatolischen Stadt Kahramanmaras, die ein Stalin-Poster an den Ministerpräsidenten schickte. Nun wollen die Islamisten eine Protestform aufgreifen, die die Linke in diesem Jahr gegen die Verquickung von Politik, Polizei und Mafia praktizierte: „Finsternis für Erleuchtung“ – das Ausknipsen der Lichter zu einer bestimmten Stunde. Motto: „Mach meine Schule nicht an!“