In Köln startet heute die jährliche „Messe für Popmusik und Entertainment“, Popkomm. Was 1989 als eher familiäres Meeting begann, gilt seit zwei Jahren als größte Popmesse der Welt. Nun sind Musik und Jugendkultur längst ein Faktor in der Dienstleistungsgesellschaft. Und so sucht im Vorwahljahr die deutsche Politprominenz die Nähe zum kreativen Jungmittelstand – und singt das Lied vom Standort Pop. Von Thomas Groß

Aufschwung Pop

Wer Ernst-Dieter Lueg und Rock 'n' Roll bislang für einander widerstrebende, ja antagonistische Größen hielt, hat die Rechnung ohne die Popkomm gemacht. „Pop und Politik – Zwischen Jugendkult und Staatsverdrossenheit“ heißt die von Lueg („Bericht aus Bonn“) moderierte Diskussion, mit der die heute eröffnende Kölner „Messe für Popmusik und Entertainment“ morgen ins Inhaltliche geht. Auf dem Podium, neben Branchenvertretern: FDP-Jungfrontmann Guido Westerwelle, Christian Wulff, Bandleader der CDU im niedersächsischen Landtag, sowie Wolfgang Clement (SPD), Minister for Future, Wirtschaft und Mittelstand in Nordrhein-Westfalen.

Gewiß, die allererste Garde unserer politischen Klasse ist das noch nicht, aber man darf von einem „Signal“ sprechen. „Die aktuelle Musik, ob sie nun Techno, HipHop, Drum 'n' Bass, Ambient oder sonstwie heißt, ist integraler und existentieller Bestandteil der Sozialisation von Jugend“, wissen die Popkomm-Veranstalter. Wer da nicht dranbleibt, kann politisch leicht außen vor bleiben – und das im Jahr vor der Wahl! Gerhard Schröder, der dem Prinzip Pop wesensverwandteste deutsche Politiker, hat's schon gemerkt: Er wird aller Voraussicht nach schon am Vorabend der Messeeröffnung in halboffiziellem Rahmen in die Kameras gewunken haben – mit jungen, kreativen Leuten zusammen gezeigt zu werden kann nie schaden. So was nennt man dann einen „Synergieeffekt“.

Abglanz kann freilich nur sein, wo auch Glamour ist, und Glamour nur, wo was floriert. Die Popkomm – zu deren Rahmenprogramm ein Konzertmarathon unter Beteiligung sämtlicher Kölner Clubs gehört – ist, ähnlich wie die Love Parade und Focus, eine der wenigen strahlkräftigen Erfolgsgeschichten im neuen Deutschland. 1989 als eher familiäres Meeting gegründet, reißt sie die Stadt mittlerweile in einen Taumel, dem auch die karnevalserfahrene Urbevölkerung sich nicht verweigert – was sie im übrigen auch kaum könnte. 14.000 Fachbesucher kamen im letzten Jahr in das raumschiffartig am Rheinufer gelegene Congress Centrum Ost. Die Gastronomie freut sich, und niemand bezweifelt ernsthaft, daß die Popkomm ihren 1995 errungenen Status als weltgrößte Popmesse (vor der Midem in Cannes und dem New York Music Seminar) auch in diesem Jahr wird ausbauen können. Permanente Besucherzuwächse wiederum sind nur möglich, wenn auch die wirtschaftliche Hardware stimmt. „Popkomm ist keine Messe, Popkomm ist eine Message“, lautet ein geflügeltes Wort des vor vier Jahren zur Gründung des Musiksenders Viva abgewanderten Initiators und Medienvisionärs Dieter Gorny – ein Aufruf zum Aufschwung Pop, der nicht zuletzt unter tätiger Mithilfe von Viva mittlerweile Realitäten geschaffen hat.

Popmusik aus Deutschland boomt. So unterschiedliche Acts wie Tic Tac Toe, Sabrina Setlur, Rammstein, Brooklyn Bounce oder die Fantastischen Vier besetzen Titelblätter und Marktsegmente, wobei „deutsch“ oft nur noch den sprichwörtlichen „Standort“ meint: Dahinter stehen Produzenten mit internationalem Know-how und ebensolchen Absatzmöglichkeiten. Schnee von gestern die Invektiven Heinz Rudolf Kunzes, der, im Verein mit dem Deutschen Rock- und Popmusikerband, im Vorjahr für viel Aufregung sorgte mit seiner Quotenforderung zugunsten einheimischer Produkte; der Markt allein hat eine Situation geschaffen, die Popjournalisten, traditionell eher dem Schönen, Wahren und Subversiven zugeneigt, zur Lektüre des Kleingedruckten zwingt. Tatsächlich belegen Zahlen aus dem Branchenblatt Musikwoche, daß deutsche Produktionen in den Verkaufscharts 1997 mit über 40 Prozent vertreten sind, weniger als etwa in Frankreich (60 Prozent), aber mit steigender Tendenz. Auch strukturell hat sich die deutsche Phonoindustrie internationalem Usus angeglichen: Die kleinen, dem „Underground“ verpflichteten Firmen arbeiten den Major Companies zu, die über die besseren Vertriebsmöglichkeiten verfügen und das Produkt marktgerechter „plazieren“ können.

Leicht bitter konstatiert das Magazin Spex, „daß die hiesige Musikindustrie nicht länger gewillt ist, Erfüllungsgehilfe ihrer transnationalen Muttergesellschaften zu bleiben“.

Um eine deutsche Erfindung handelt es sich bei dieser Renationalisierung der Märkte allerdings nicht. In England, wo Britpop im letzten Jahr boomte, bemerkte Tony Blair rechtzeitig zu seinem Wahlsieg: „Wir gehören in der Tat zu einer talentierten und phantasiereichen Nation.“ Unter Hinweis auf das nicht unbeträchtliche Exportvolumen (20 Prozent des Weltmarkts) sowie die englische Sprache als „Kronjuwel der internationalen Unterhaltungsindustrie“ profilierte er sich in seiner Wahlrede vor Medienvertretern – Titel: „Kultur bricht durch die Fenster“ – als Seher einer verschärften Dienstleistungsgesellschaft: „Im 21. Jahrhundert werden wir mit einer Weltwirtschaft konfrontiert sein, die auf der Energie kreativer Köpfe beruht. Heute sind bei uns bereits eine dreiviertel Million Menschen im kulturellen Sektor beschäftigt – fast doppelt so viele wie in der Autoindustrie.“ In einer Situation, in der zwei von drei ausländischen Touristen (pop-)kulturelle Anlässe als Grund ihres Besuchs angeben, hängt „Großbritannien zunehmend mehr von Gehirnen ab als von Muskeln“.

Genau dieses Lied vom Standort Pop, dessen Rhythmen in alle Bereiche der Dienstleistungsgesellschaft ausstrahlen – und der nun endlich auch von der hiesigen Politik „ernst genommen“ werden soll –, wird seit Jahren auf der Popkomm gesungen. Es wundert einen also nicht, daß Dieter Gorny (siehe Interview auf dieser Seite) immer wieder Ambitionen auf ein kulturelles Ministeramt nachgesagt werden.

Es wundert einen noch weniger, daß Gerhard Schröder, seit langem als Träger britischer Anzüge bekannt, die Nähe zum kreativen Jungmittelstand sucht. Staatsverdrossenheit ahoi! Von der Popkultur lernen heißt siegen lernen! Hinzu kommt: Die Sprache der Volksvertreter ist ja traditionell mehr Sound als Semantik, das hat sie mit Rock 'n' Roll und Techno gemeinsam. Und ist Politik nicht ohnehin längst abgelöst durch Public Relations?

Gut möglich, daß wir nächstes Jahr einen Viva-Wahlkampf erleben werden. Das internationale Fachblatt Music & Media jedenfalls führt Schröder bereits als „man set to challenge Helmut Kohl for the German Chancellorship“. Die Baßpauke beherrscht er bereits recht gut, der Niedersachse. Vielleicht sollte er noch etwas Saxophon lernen.