Große Geiger auf kleinen Scheiben

■ Ein Blick in die CD-Produktion der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen der letzten Jahre - 1. Teil KonzerthörerInnen wissen in der Regel wenig über eine rege „Nebentätigkeit“der meisten MusikerInnen: die Produktion von CD's. Das betreiben jenseits der großen Firmen, in denen heute sowieso eine Krisensitzung die andere jagt und immer mehr Marketingskriterien inhaltliche Konzepte verhindern, die städtischen Orchester, die KirchenmusikerInnen, die Musikhochschule und viele Einzelpersonen. In loser Folge wolln wir einige dieser Produktionen von bremischen Institutionen und MusikerInnen vorstellen, die sich unterscheiden zwischen einem Erinnerungsstück, weil man vielleicht mitgesungen hat, und Wiedergaben, die wegen der interpretatorischen Qualität oder programmatischen Rarität einen Ausnahmestatus auch auf dem internationalen Markt beanspruchen.

Ungefähr zwanzig CD's hat die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen in den letzten Jahren herausgebracht. Doch vergeblich suchen interessierte HörerInnen nach einem System – etwa einer Plattenfirma, inhaltlichen oder personellen Vorgaben. „Es gibt auch keins“, sagt Daniela May von der Deutschen Kammerphilharmonie. „Die CD's entstehen unterschiedlich. Entweder sind unsere Solisten bei einer Firma unter Vertrag, dann bringen sie uns als Orchester mit. Oder es gibt Radio-Mitschnitte, aus denen die Anstalten dann eine CD produzieren, oder Chordirigenten wollen unser Orchester. Seltener kommen Firmen auf uns zu.“Bauen wir also unsere eigene Systematik und werfen heute einen Hörblick auf die Einspielung einiger Violinkonzerte. Man übertreibt nicht, wenn man sagt, die Deutsche Kammerphilharmonie ist drei ganz großen Geigern verbunden: Gidon Kremer, Thomas Zehetmair und Christian Tetzlaff, wobei letzterer für ein solch gewichtiges „Etikett“mit seinen gerade 31 Jahren vielleicht noch etwas zu jung ist. Wenn er allerdings hält, was er jetzt verspricht, ist daran kein Zweifel.

Christian Tetzlaff, frisch gebackener Gastprofessor an der hiesigen Hochschule für Künste – als solcher wird er hier Meisterkurse durchführen – erinnert mit seiner Einspielung an Kurt Weil. Mithin also an einen Komponisten, von dem nur wenige wissen, daß er ein einfallsreiches, musikantisches und explosives Violinkonzert geschrieben hat, weil man ihn in der Regel nur als Autor u.a. der „Dreigroschenoper“kennt. Die ausgefallene Klanglichkeit, die man dem 1924 entstandenen Werk noch heute anhört, resultiert aus der Besetzung: Violine und Blasorchester. Mit einer Doppel-CD stellt sich Christian Tetzlaff höchster Konkurrenz. Gerade erschienen sind die fünf Violinkonzerte Mozarts, dazu enthält das Paket das isolierte Rondo KV 373 und das Adagio KV 261. Tetzlaff besticht durch einen absolut „reinen Ton“, wie ihn Mozart selbst anstrebte, der ja zum Kummer seines Vaters lieber Klavier als Violine spielte. Tetzlaffs „sprechender“Stil ist nie draufgängerisch, die Zartheit und Vorsicht seiner „Argumentation“, die Herausarbeitung von Mozarts atemberaubend experimentellen Formlösungen wie der Exposition des Konzertes KV 219, dazu die unaufdringliche Stilsicherheit seiner eigenen Kadenzen, nehmen in jedem Takt für diese Aufnahmen ein. Der Orchesterpart ist schlank, durchsichtig und temperamentvoll gelungen: Die CD schon mal vormerken für den Weihnachtswunschzettel.

Gidon Kremers Liebe zur Bremer Kammerphilharmonie hält nun schon einige Jahre. Seine CD-Produkte zeigen vor allem die Facetten einer Suche nach Raritäten, für die Kremer ebenso bekannt ist wie das Orchester. Leider hat die Deutsche Grammophon eine CD mit Werken von Arthur Lourié (1892-1966) schon wieder eingezogen. Arthur Lourié? Der Sohn eines jüdischen Petersburger Holzfabrikanten schrieb als Schüler von Ferruchio Busoni zunächst radikal avantgardistische Musik, von der er sich später wieder abwendete. Gleichwohl wirkt sein hier eingespieltes „Concerto da Camera“aus dem Jahr 1945 eher wie archaische Trauer als regressiv in seinen immerhin auch erkennbaren barocken Reminiszenzen.

Gidon Kremer ist nicht nur auf unermüdlicher Suche nach selten oder nie gespielter Musik, sondern auch außerordentlich mit seiner Heimat verbunden. So nennt er die brandneue CD mit der Deutschen Kammerphilharmonie „From my home“. Musik aus dem heute unabhängigen Lettland also, darüberhinaus aus Estland und Litauen. Das Spektrum reicht hier vom Schmachtfetzen eines Balys Dvarionas bis zu den berühmten „Fratres“von Arvo Pärt, einem Komponisten, bei dem man es sich mit einem Urteil über seine Hinwendung zu den Quellen mittelalterlicher Musik sicher nicht so leicht machen kann. Die quasi religiöse Geste in Lettland – und nicht nur da – bedeutete immer auch Widerstand. Beispielhaft für diese Haltung mag „Musica dolorosa für Streichorchester“(1984) mit seinen geradezu hemmungslosen, „mahlerschen“Expressionen von Peteris Vaskas stehen. Insgesamt bietet die CD mit sieben Komponisten aus einer Zeitspanne von fünfzig Jahren ein informatives Spektrum, was seinen besonderen Wert durch das hohe Niveau der Interpretationen erhält.

Thomas Zehetmair hat mit der Kammerphilharmonie eine richtig schöne, klassische CD produziert. Neben den gängigen Beethovenschen Romanzen sind auch die selten zu hörenden Konzertstücke in D-Dur und das Rondo in A-Dur von Franz Schubert und Rondo und Adagio von Mozart zu hören. Ohne werten zu wollen, spielt Zehetmair zupackender, ja aggressiver als Tetzlaff. Beide Stile haben ihre Meriten. Eine Perle ist die CD mit drei der größten und schönsten Solokonzerte des 20. Jahrhunderts: Das Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“von Alban Berg, das Violinkonzert „Pilgerfahrt einer Seele“von Leo Janacék und das „Concerto funebre für Violine und Orchester“von Karl Amadeus Hartmann. Es ist in jedem Takt mitreißend, wie Zehetmair den zutiefst existentiellen Dimensionen dieser Werke geradezu insistierend und ungemein expressiv nachspürt: Bergs 1935 geschriebene Trauermusik für die jung verstorbene Tochter Alma Mahlers, das 1928 entstandene autobiographische Fragment Janacéks mit seinem ästhetischen Versuch, sich „so dicht wie möglich dem Gemüt des schlichten Menschen anzuschmiegen“, und Karl Amadeus Hartmanns 1939 geschriebene große Trauermusik über die „zwölf finsteren Jahre“. Deutlich macht Hartmann das u.a. durch den Einsatz eines Hussitenchorals im ersten und eines russischen Revolutionsliedes im vierten Satz. Alle CD's sind im Handel, aber auch bei und in den Konzerten der Deutschen Kammerphilharmonie erhältlich.

Ute Schalz-Laurenze