Es gibt mehr Ziele als nur Abstinenz

■ Nur in Billstedt gibt es eine niedrigschwellige Hilfe für Alkoholiker Von Jürgen Oetting

Alkoholiker müssen trinken. Und wenn sie trinken, müssen sie mehr trinken. Das eine nennen die Suchtexperten „Unfähigkeit zur Abstinenz“, das andere „Kontrollverlust“. Ihr Leiden können die pathologischen Trinker nur zum „Stillstand“ bringen, nicht gänzlich ablegen. Alkoholismus gilt als unheilbare Krankheit. Soweit die herrschende Meinung. Alkoholismusberater und -therapeuten arbeiten nur mit Klienten, die – zumindest kurzfristig – abstinent sind. Und Abstinenz ist auch das Ziel ihrer beraterisch/therapeutischen Intervention. Überall in Deutschlands Suchtkrankenhilfe. Nur nicht in Billstedt.

Im Parkhaus im Oststeinbeker Weg betreibt die Heilsarmee die einzige deutsche niedrigschwellige, akzeptierende Hilfseinrichtung für Menschen mit Alkoholproblemen, das „Park In“. Niedrigschwellig heißt, jeder kann kommen. Akzeptierend meint, jeder kann bleiben, auch wenn er niemals abstinent werden kann oder will. Das gefällt den abstinenzorientierten Suchthelfern überhaupt nicht. Sie meinen, was für verelendete Junkies richtig ist, müsse nicht automatisch für Alkis gut sein.

Nicht automatisch. Aber nach aller Erfahrung gibt es gar keine andere Wahl. Nicht abstinenzbereite oder -fähige Klienten fallen durch das Raster der Suchthilfe. Deshalb ist es ein Gebot verantwortlicher Sozialarbeit, auch „nassen“ Alkoholikern spezifische Hilfen zukommen zu lassen. So sieht es auch der Drogenbeauftragte des Senats, Horst Bossong. Er ist ein Freund der Billlstedter Einrichtung und hält den dort eingeschlagenen Weg für einen Schritt in die richtige Richtung. Im „Park In“, so Bossong, würde den Süchtigen „ein Stückchen Würde wiedergegeben.“ Es gebe mehr als nur das eine Ziel „Abstinenz“. Das Ganze ist Resultat eines haushaltspolitischen Zufalls. Eigentlich sollte 1993 im Erdgeschoß des Parkhauses eine niedrigschwellige Einrichtung der Wohnungslosenhilfe entstehen, wie sie die Heilsarmee in großer Zahl betreibt. Doch das zuständige Referat bei der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) hatte keine Mittel mehr frei. Bossongs BAGS-Referat „Sucht und Drogen“ hatte dagegen noch Knete und schon war ein gesundheitspolitisches Novum geboren.

Außer am Sonntag ist das „Park In“ an jedem Nachmittag geöffnet. Die Besucher bekommen dort Mahlzeiten, können sich duschen und Wäsche waschen. In der Kleiderkammer gibt es saubere Klamotten. Die Besucher können miteinander reden, spielen oder Videofilme ansehen. Sie können aber auch einfach stundenlang dösen. Das alles gäbe es auch in einer Einrichtung der Wohnungslosenhilfe. Im „Park In“ kommen ärztliche Betreuung – so richtig mit Behandlungszimmer und Sprechzeiten – und unbürokratische Lebenshilfen der vier Sozialarbeiter dazu.

Das medizinische Grundangebot ist, so berichtet der fachliche Leiter des „Park In“, Christop Gürer, besonders für sozial Entwurzelte wichtig. Und ganz besonders für Alkoholiker, denn der Suff bringe viele Folgekrankheiten mit sich. Viele der Besucher seien völlig durch das Netz staatlicher Versorgung gefallen und würden ohne Krankenschein in keiner Arztpraxis behandelt. Aber in Billstedt. Dort werden auch notwendige Überweisungen an Fachärzte oder Kliniken organisiert. Dort wird bei Bedarf für jeden wieder ein minimales soziales Netz geknüpft. Auch die Sozialarbeiter besorgen Klinikplätze: wenn jemand gerne eine Alkoholentwöhnungsbehandlung will. Da geht es dann aber nicht mehr ohne Abstinenz. Im Parkhaus schon, obwohl in den Räumen der Einrichtung Alkoholverbot besteht. Doch draußen vor der Tür läßt sich der funktionsnotwendige Stoffspiegel schnell wieder herstellen.

Ohne Beten geht es allemal im „Park In“, auch in dieser Beziehung ist die Heilsarmee-Einrichtung niedrigschwellig. Einmal in der Woche findet ein – gut besuchter – Bibelgesprächskreis statt, der jedoch in einem Nebenraum stattfindet. Keiner der täglich etwa 30 einlaufenden Frauen und Männer wird daran gehindert, weiter zu dösen oder Skat zu spielen, während andere Trost im christlichen Glauben suchen. Gabriele Honsberg, eine Heilsarmee-Offizierin, nennt die Maxime: „Erst kommt soziale Arbeit, bevor man predigt.“