Mirko Bonné über Endre Kukorelly
: Entdeckungen in verschiedenen Welten

■ Drei ungarische Autoren, Stipendiaten der Stadt Hamburg, schreiben Texte für die „taz“, drei deutsche Autoren sorgen für Linernotes / Diese Seite entstand in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Literaturhaus

Wenn du ... das ganze System durch-/ schreitest, durchschaust du sein Gefüge// ein Weile lasse ich das Gefüge, bis ich eine harte Banane/ gegessen habe... Widerborstig-komische, dann unverhüllt melancholische Verse und Sätze haben Endre Kukorelly in Ungarn rasch in den Ruf des „Bürgers“ gebracht: Er kümmere sich zu wenig um Über-Bau und U-Topie, schere sich mehr um Überlandbusse und U-Bahnen, oder besser: um die Menschen in ihren Alltagsgefährten.

1951 in Budapest geboren, betrat Kukorelly zu einer Zeit der allgemeinen Auflösung bis dato verschriebener politischer wie literarischer Dogmen die Bühne. Gleich für seinen ersten Gedichtband A valóság édessége(Die Süße der Wirklichkeit) erhielt er 1984 den Ungarischen Literaturpreis. Mehrere Gedicht- und Prosabände folgten, bevor 1992 eine Auswahl seiner Gedichte im Berliner Verlag Ackermannstraße auch deutschsprachig erschien. Im Frühjahr nächsten Jahres werden seine Erzählungen im Dröschl-Verlag publiziert. Den mit der politischen Wende Ende der achtziger Jahre einhergehenden Paradigmenwechsel im Leben seines Landes sah der Publizist Kukorelly in der Literatur bereits zehn Jahre früher heraufdämmern. Auf eigentümliche Weise beschäftigt sich sein Schreiben immer wieder mit jenem scheinbar neuen Blick auf die Umgegend: Einer, der lebt, der sagt, nur einfach sein,/ ein bißchen sein, das geht so nicht./ Jene, die leben, so wie sie sind, bleiben/ im Tritt, wie eine Maschine.

Eine Versammlung vor einem Gemüseladen ist schon das größte Kollektiv, zu dem es etwas zu sagen gibt. Dies in einer Sprache, die bereit ist zu gehen, nie aber konform. Grammatik, Syntax und die Nerven blanklegende Repetionen und Redundanzen setzt Kukorelly bewußt als Stilmittel ein. Vor dem geistigen Auge entsteht eine bunte, belebte Sprachstraße, auf die der Dichter zu einem hastigen, von Gelächter und Wutausbrüchen unterbrochenen Geh-spräch einlädt.