Zeitlose Zeit im zyklischen Tanz

■ Hammoniale: Welturaufführung von Chandralekhas „Mahakal“

Eine Bühne, leer und schwarz bis auf eine Reihe von kreisrunden Scheiben. Am Boden liegen in der Dunkelheit acht Menschen. Zwischen ihnen windet sich, nur auf Finger und Zehen gestützt, ein Tänzer schlangengleich hindurch. Vom Mythos der Zeit, vom Totentanz und dem Tanz des Lebens handelt Mahakal – Invoking Time, die jüngste Arbeit der indischen Choreographin Chandralekha, die am Sonnabend im Rahmen der 6. Hammoniale uraufgeführt wurde.

Langsam, ganz allmählich kommt Leben in die Menschen. Während ihre Körper sich entfalten, wird es hell. Dann setzen die Trommeln ein, und die sieben Tänzerinnen in ihren roten und grauen Saris beginnen einen wirbelnden Tanz mit und gegen die drei Tänzer. Das rhythmische Stampfen erinnert an einen Volkstanz. Diese turbulente Szene löst sich auf in eine kontemplative Körperzwiesprache zwischen einem Mann und einer Frau. Unverwandt sehen die beiden sich in die Augen. Sie sind sich nah, ohne sich zu berühren.

Der ständige Wechsel zwischen Ruhe und Bewegung prägt das ganze Stück. Auch die Musik wechselt zwischen weiblichem Gesang zur Sitar und der Percussion der Männer. Und obwohl den Tänzerinnen die ruhigeren, langsameren Bewegungen zugeordnet sind und den Tänzern die dynamischen Partien vorbehalten bleiben, wirken die Frauen selbstbewußt und kraftvoll.

Die Choreographin Chandralekha bezieht sich in dieser Arbeit auf einen Text aus dem 10. Jahrhundert. Der erzählt, wie die Schöpfung einst im Klang einer Handtrommel entstand, und wie der Tanz im Bewußtsein jedes Menschen existiert. Nicht um den linearen, chronologische Ablauf von Zeit geht es, sondern um das Fließen und die Kontinuität, um die „Metaphysik des ewigen Augenblicks, in dem Anfang und Ende verschmelzen“, erklärte die weißhaarige Künstlerin vor Beginn der Vorstellung.

Das andere Verständnis der Zeit in Asien wurde an den Bewegungen der Tänzer erfahrbar. Für westeuropäische Zuschauer waren sie streckenweise von geradezu quälenden Langsamkeit. Aber die intensive Körperspannung der Akteure zog das Publikum in den Bann. Kraft und Konzentration beherrschte jeden Muskel. Dabei wirkten die muskulösen Körper immer rund und harmonisch in ihren Bewegungen.

Mit Chandralekha, die das Festival mit ihrer Choreographie Yantra eröffnet hatte, stellte sich eine Avantgarde-Künstlerin vor, die in ihren Arbeiten Tradition und Moderne verschmilzt. Elemente aus dem südindischem Tempeltanz Bharatanatyam, Yoga und freiem Tanz bilden bei ihr eine ganz eigene Formensprache.

Iris Schneider