Immer wieder schlauere Antworten

Nach dem Stellenabbau: Die Stimmung der Arbeiter in der Hamburger Reparaturwerft Blohm + Voss schwankt zwischen Angst und Optimismus. Aus den Docks berichtet  ■ Christine Holch

Ach, ist das schön, sagen die TouristInnen an den Landungsbrücken angesichts des Hafengemäldes am anderen Elbufer: Über die Außenwand des Blohm + Voss-Docks fahren altertümliche Segler. Dahinter, auf der Reparaturwerft, geht es überhaupt nicht anheimelnd zu. Auf dem Boden des Docks liegt zwischen farbgetränkten Sandkrümeln eine tote Taube. Schweißfunken sprühen durch die Luft. Und von den Stahlwänden hallt ein ohrenbetäubend grelles Zischen wider: Hoch oben, unter der Relingkante des Containerschiffs „Hamburg Senator“aus Liberia, strahlt ein Arbeiter mit dem Höchstdruckreiniger Farbreste weg.

„Huuuh“. Werksleiter Norbert Platz stößt einen schrillen Käuzchenruf aus, um in all dem Gelärme den Arbeiter auf sich aufmerksam zu machen. Der Arbeiter schaut von seiner Hebebühne herunter auf den Chef im beigen Denimarbeitsanzug (über Hemd und Krawatte) und stellt den Reiniger ab. Endlich Stille. Also, wie geht es der Reparaturwerft? „Zu schlecht“, sagt der Werksleiter. „Nicht gut genug“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Manfred Csambal neben ihm. Die beiden Männer lachen gequält.

Denn noch immer macht die „Blohm + Voss Repair GmbH“Verluste. Und: Der Mutterkonzern Thyssen will seine Werften mit denen des Preussag-Konzerns zusammenlegen und in einem Aufwasch gleich noch die defizitäre Hamburger Reparaturwerft schließen, wird gemunkelt.

Dabei hat die in ihren drei Docks derzeit soviel zu tun wie seit Monaten nicht mehr. Sogar Leiharbeiter braucht man, um die Auftragsspitzen auszugleichen. Es ist Sommer, da werden die Schiffe „aus der Linie genommen“. Das gute Wetter garantiert schnelle Reparaturzeiten, bei Regen oder Frost kann man keinen Farbanstrich machen.

Hauptgrund aber für den derzeitigen Boom ist der Verfall der D-Mark. „Dadurch haben sich unsere Kosten gegenüber den USA um 24 Prozent und gegenüber Großbritannien sogar um 29 Prozent verringert“, sagen die Betriebsräte.Erstmals also ein Lichtblick nach langen Jahren der Flaute.

„Wir waren mal Europas größte, beste und schnellste Reparaturwerft“, erzählt der Betriebsratsvorsitzende. Doch vor vier Jahren brach der Markt ein. Wegen der zunehmenden Konkurrenz unter den Reedereien verfielen die Frachtraten dramatisch: Die Reeder bekamen immer weniger Geld für eine Fuhre. Also ließen sie nur noch das Allernötigste reparieren. Ein neuer Anstrich, der Ersatz einer verbeulten Stahlplatte, die Inspektion der Welle, die Erneuerung der Bugwülste, der Knautschzonen eines Schiffes – das mußte warten.

Viele Schiffbaunationen reagierten mit Protektionismus und versteckten Subventionen, klagt Manfred Csambal, die Bundesregierung aber habe sich für einen offenen Markt entschieden. Subventionen unter den Augen des gestrengen EU-Wettbewerbskommissars Karel van Miert? Na klar, meint Csambal, Spanien zum Beispiel subventioniere entgegen europäischen Richtlinien. „Die können sich in ihren armen Regionen doch diese Arbeitslosigkeit gar nicht leisten – was meinen Sie, was dann los wäre dort unten?“Einen Aufstand wolle auch die EU nicht riskieren.

Die deutsche Werft Blohm & Voss reagierte auf den Markteinbruch mit Stellenabbau. „Wir haben ein Blutbad hinter uns“, sagt Csambal und zertritt mal wieder eine Zigarette in einer Brackwasserpfütze. Statt 1250 Menschen arbeiten heute nur noch 360 auf der Reparaturwerft. Behalten habe die Geschäftsführung nur die „Rahmschicht“. „Die olympiareife Mannschaft, von der andere Firmen nur träumen können, die haben wir schon.“

Seit vergangenem Jahr hat die Werft auch mehr Selbständigkeit: 1996 wurden die Geschäftsbereiche Reparatur, Schiffsneubau und Maschinenbau in eigenständige GmbHs überführt. Heute sind sie mittelständische Kompaktwerften, die aber nach wie vor zum Thyssen-Konzern gehören. „Jetzt können wir eigenständig akquirieren. Und vor allem, wir kennen jetzt unsere Kosten“, erklärt Betriebsleiter Platz die Vorteile.

Und die Kosten muß die Werft kennen, denn der Weltmarkt ist hart. Im Schiffbau gibt es keine abgeschotteten und gesicherten Märkte – ein Schiff ist eben beweglich. Da ist die Konkurrenz aus Großbritannien, Spanien, Schweden und natürlich Südkorea. Aber auch immer mehr die aus Osteuropa. „Die lernen dazu, und die sind preiswerter“, sagt der Werksleiter. Ein polnischer Schiffbauer verdient gerade mal 350 bis 400 Mark, ein Hamburger 4.500 brutto.

„Wegen der unterschiedlichen Löhne brauchen wir die schlaueren Antworten“, predigt der 41jährige Betriebsratsvorsitzende den Arbeitern wieder und wieder. Eine schlaue Antwort auf die Konkurrenz ist zum Beispiel die neue Arbeitszeitregelung: Die Leute arbeiten nur dann, wenn ein Auftrag da ist. Da bleibt ein Arbeiter auch mal 14 Tage zu Hause, arbeitet dann aber zwei Monate durch. Ausgeglichen wird innerhalb von anderthalb Jahren. So steht, wenn ein Schiff da ist, die gesamte Belegschaft bei Fuß. Deshalb ist die Werft schnell, schneller als andere. Und pünktlicher: „Gehen Sie mal mit Ihrem Schiff in eine Ostblockwerft“, sagt der Betriebsrat süffisant, „da wissen Sie nicht, ob Sie's je wiederkriegen.“

Schnelligkeit erreicht man aber nicht nur mit Durcharbeiten. Das Zauberwort auf deutschen Werften heißt derzeit „Multipurpose“. Der Arbeiter als Mehrzweckinstrument. Da hilft ein Schiffbauer beim Ausdocken oder fährt den Kran. Und der Maschinenbauer ziert sich nicht, sondern kümmert sich auch um den Rohrbau. Wartezeiten, bis der nächste Spezialistentrupp anrückt, fallen dadurch weg. Den murrenden stolzen Schiffbauern hält Betriebsrat Csambal immer wieder entgegen: „Wir brauchen die schlaueren Antworten.“

So hat man auch ganze Gewerke geschlossen. Eigene Leute leistet sich die Werft nur noch für die Kernaufgaben Schiffbau, Schweißerei, Rohrleitungsbau, Maschinenbau und Elektrik. Alles andere wird je nach Bedarf „am Markt zugekauft“: Gerüstbauer, Isolierer, Tischler, Reinigungskräfte...

Der Werksleiter taucht unter dem Kiel eines auf Holzpallen gestellten Containerschiffes hindurch und zeigt auf einen Mann mit Farbsprühpistole außen am Schiffsbauch: auch einer aus einem Subunternehmen.

Die Werft ist nicht nur schneller. „Wir sind auch technisch besser“, sagt Werksleiter Platz. Solch starke Höchstdruckreiniger zum Beispiel habe sonst keiner: Statt mit Industrieschlacke wird ein verrosteter und veralgter Schiffsrumpf effektiver und umweltschonender mit Wasserdruck gereinigt – das verschmutzte Wasser durchläuft anschließend eine 12 Millionen Mark teure Aufbereitungsanlage. „Da kommt die Elbe anschließend sauberer raus als vorher“, frotzelt Csambal.

Aber mit futuristischer Technik allein komme man nicht weit auf einer Reparaturwerft. „Der Mann ist das Wichtige.“In der Schiffsreparatur mit ihrer vielen Handarbeit sei keine Automatisierung möglich, das Kapital sei der erfahrene Mensch, der vor Ort „selbst entscheidet und dann sofort loslegt“.

Die Reparaturleute sind eine eigene „Gattung“: Je schlimmer die Arbeit, um so größer der Corpsgeist, heißt es. Und die Arbeit ist oft „schlimm“, weil körperlich schwer. Bei 50 oder 60 Grad in einem eingebauten Tank zu hocken und mit dem Schneidbrenner zu arbeiten, sei kein Vergnügen. Ein bißchen sehen die Reparaturleute denn auch auf die Neubauleute herab: Neue, saubere Bleche zusammenschweißen – keine Kunst.

Das Selbstbewußtsein ist geblieben über die Jahre der Flaute hinweg. Aber auch die Angst. Die erhält derzeit neue Nahrung: In der Süddeutschen Zeitung hat vergangene Woche der Preussag-Vorstandsvorsitzende Michael Frenzel eine „Bereinigung der defizitären Reparatur“gefordert, wenn es denn zu einer Zusammenlegung der Werften von Thyssen und Preussag kommen solle. Reparatur sei in Deutschland nicht kostendeckend zu machen, so Frenzel.

Jajaja, sagt der Betriebsratsvorsitzende genervt, derzeit mache man noch Verluste, aber schon viel geringere als im vergangenen Jahr. Und nächstes Jahr werde man sicherlich in die Gewinnzone kommen. Und habe nicht sogar das Gutachten des Wirtschaftsberaters Roland Berger bestätigt, daß die Reparatur in Hamburg Zukunft hat? Schließlich habe man rationalisiert ohne Ende, der Markt bessere sich, und dann, wirft er schließlich noch in die Waagschale, gebe es auch großen Bedarf im Hamburger Hafen. Hätte Hamburg keine Reparaturwerft, würden viele Schiffe andere Häfen anlaufen, sagt der Betriebsrat drohend und drückt die nächste Zigarette aus.

Manfred Csambal und seine acht Betriebsratskollegen sind schwer unter Druck. Vor einem Jahr noch war Csambal nur Vertrauensmann, seit der Verselbständigung der Reparaturwerft ist er Vorsitzender eines aus dem Boden gestampften Betriebsrates. „Wir müssen erstmal lernen, lernen, lernen.“Während er als einziger freigestellter Betriebsrat einem mittelständischen Betriebsrat vorsteht, sitzen auf der Gegenseite „ausgebuffte“Arbeitgeber, die die Struktur eines Großkonzerns hinter sich haben.

Aber Csambal kann sich verlassen auf die Kollegen aus Neubau und Maschinenbau, und jetzt auch auf die aus den anderen Thyssen- und Preussag-Werften. Gerade haben sie eine gemeinsame „Gegenfront“aufgebaut. Langfristiges Ziel: „Der Erhalt aller Standorte.“Erstmal aber kämpfen sie darum, überhaupt an den Verhandlungen über die Elefantenhochzeit teilnehmen zu dürfen.