: 103 Jahre Bremer Vulkan sind vorbei
■ In Bremen-Nord war der Abschied von 200 Jahren Bremer Handelsschiffbau gestern ein event mittlerer Güte. Um fünf nach 12 Uhr war High-Noon: Die Werkssirene schrie zum letzten Mal.
Geheult wird nicht. Ein paar trotzige Mannsbilder zu zweit und zu dritt, Dialoge wie im scharfen Filmschnitt: „Das wird hier jetzt alles verkomm'“– „Ach, reg dich doch ab.“Freitag Mittag, 12 Uhr. Vor dem Lobbendorfer Tor der Vulkan-Werft haben sich dreihundert Schaulustige versammelt. Zwischen ihnen, aus den Augenwinkeln bestaunt, ein paar anachronistische Gestalten auf steifen Beinen. Sonst wirbelt hektisch und fröhlich die Freizeit- und Informationsgesellschaft. Die kleine Beerdigungsfeier für 103 Jahre „Vulkan“ist ein event mittlerer Güte. Ein Familienausflug für Bremen-Nord und die heimische Medienlandschaft. Irgendwo hinter den Kränen tutet die Werftsirene: High noon – 12.05 Uhr. Das war's. Auf der Werft bleibt es still. Durch das Tor tröpfeln eine Handvoll Leute. Punkt 1 der Inszenierung, das rituelle In-die-Ecke-Werfen der Schutzhelme fällt mangels Masse aus. Von den 2.000 Vulkanesen läßt sich kaum einer sehen, am heutigen 15. August 1997: Was ist das schon: ein historisches Datum? Vor dem Tor packt einer sein letztes Geschirr aus, Vorschlaghammer und Säge, Schweißerbrille, Hobel und Drahtbürste. Da liegt es, das 19. Jahrhundert. Am Boden. Der „Ökumenische Runde Tisch Vulkansolidarität“inszeniert ein letztes Mal Rest-Identität: „Die Arbeit ist für uns zu Ende, das Leben nicht, egal, wir werden es meistern. Tschüß Kollegen.“Leise rauschen die 15 Pappeln ihre Trauerweise, kaum einer hört zu. Man winkt sich von weitem, man kennt sich. So ist das unter Proleten, selbst wenn so mancher von ihnen hier vor 20 Jahren mit 5.700 Kollegen stand. „Es gibt ein Leben nach dem Vulkan“, dröhnt die Botschaft. Rentnergruppen lauschen mit einem Ohr. Klar! Manch einer von ihnen hat sich dies Leben was kosten lassen. „Ich war bis '91 dabei.“Horst Kabeck. Dem Richtschmied hauten zwei Lukendeckel den Fuß platt. Das sieht man, auch wenn er die Schuhe anhat. „Da hast du noch Glück gehabt“sagt seine Frau sechs Jahre später im Brustton der Überzeugung: „Es hätte auch den Kopf treffen können.“Hat es aber nicht. Die hier rumstehen am letzten Tag der Bremer Werft scheinen sich nicht beerdigen lassen zu wollen. Auch nicht von dem Pastor, der jetzt an dem Mikro steht und von seinem Opa erzählt, weil der hier auch schon gearbeitet hatte. „Der Vulkan, das war mein Leben“, habe ihm vor ein paar Wochen ein alter Kupferschmied gesagt, so erzählt der Lobbendorfer Industriepastor. Und dabei seien ihm die Tränen gekommen. Eine kleine Kunstpause im Gedenkgottesdienst – gelernt ist gelernt. Aber nein. Zu einem befreienden Tränenstrom vor laufenden Kameras wollen sich die Schiffsbauer nicht überreden lassen. Dann lieber selber ein bißchen erzählen: „Achtunddreißig Jahre war ich dabei“. Ein halbes Lebensalter, man sieht es ihm an. „Am 15. August '58 war mein erster Arbeitstag. Ist das nicht ein Zufall?“Ja. Die beiden alten Kollegen grinsen Beifall. „Sonst wär ich heute auch gar nicht hier.“
Zahlenmagie. Manch einer ersetzt am heutigen 15. August 1997 den Pastor damit. Andreas Kort, russischer Aussiedler mit Filius Dennis: fünf Jahre als Schweißer beim Vulkan. Rainer Wilke mit Frau: seit dem 1. September 1966 dabei. Erst 14jährig als Lehrling, dann als Kranelektriker. Bis heute. Bis zum Schluß – „Nützt ja nichts“. Wilfried Bönsch, 1978 auf Rente gegangen. Der hat sein Fahrrad dabei und wackelt und wackelt. Bernhard Stuckenberg, „1969 habe ich als Behauer angefangen. Dann bin ich abgehauen aufs Schiff. Seit 1985 bin ich zurück. Konnte doch keiner ahnen...“.
Vor dem Werfttor wird eine Pappmauer abgebaut: Versprechungen, Vertröstungen und Hoffnungen in Zeitungsausschnitten und Fotos. Das Industriezeitalter ist vorbei, the show must go on. Ein paar hundert Meter weiter, auf dem Werftgelände wird jetzt gesoffen. In der Ausrüstungswerkstatt, wo vor Wochen noch Bremens letztes Handelsschiff, die „Hansa Constitution“ihren letzten Schliff kriegte, steht „Dökel. Der Getränkedienstleister“und langsam wird's lustig, langsam wird's traurig: „Wir hätten...wir hätten“äfft einer und wirbelt den Zündapp-Schlüssel vor der Visage seines Kollegen: „Wir hätten sofort Schluß machen sollen. Das hätten wir sollen. Wir hätten die Costa besetzen sollen. Das hätten wir sollen. Und weißt du, was morgen über uns in der Zeitung steht. 'Tolle Leute, die alten Vulkanesen' steht da. Ich versprech's dir. Bescheuert sind wir!“ ritz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen