: Am Rand von Ethno-Kitsch
■ Reichlich verunglückt präsentiert das Rosenheimer Ausstellungszentrum die bedeutende Afrika-Sammlung des ersten Dada-Galeristen Han Coray
Unter diesen Gesängen und einem infernalischen Lärm von Trommelschlägen, Klingeln und Kuhglocken kam im Züricher Cabaret Voltaire der Dadaismus zur Welt. Auf ihrer Suche nach neuen Formen ließen sich seine Zeremonienmeister im Cabaret Voltaire – vorneweg Richard Huelsenbeck, Tristan Tzara, Hugo Ball und Marcel Janco – stark von dem beeinflussen, was die europäische Avantgarde damals als afrikanische Kunst für sich entdeckte. Janco entwarf „abstrakte Negermasken“ (Hans Richter), die Huelsenbeck und Ball bei ihren lautmalerischen Rezitationen „im Takt der Negerrhythmen“ überstülpten.
Auch der erste Dada- Galerist und frühere Direktor einer Mädchenschule, Han Coray, entdeckte sein dunkles Herz. Anfang 1917 zeigte er im schmucken Sprünglihaus die erste Dada-Ausstellung, ergänzt durch afrikanische Waffen und eine Skulptur der Baule (Elfenbeinküste).
Bis Ende der zwanziger Jahre, als die „mode négre“ unter den Künstlern schon längst passé war, kaufte Coray eine bedeutende Kollektion von Masken, Statuen und Gebrauchsgegenständen aus Zentral- und Westafrika zusammen. 1940 ging die Sammlung an das Völkermuseum der Universität Zürich. Die hat jetzt 200 der schönsten Stücke erst bei sich ausgestellt, um sie anschließend auf Tournee zu schicken.
Einzige deutsche Station ist das Rosenheimer Ausstellungszentrum „Lokschuppen“, leider mit einer reichlich mißlungenen Präsentation. Für die Universität Zürich hatte des Künstlerduo Fischli/ Weiss ein radikal ästhetisierendes Ausstellungskonzept verfolgt, und Antilopenmasken der Bambara aus Mali, Gesichtsbecher der Kuba aus Zaire, Unterhaltungsmasken der Dan, Elfenbeinküste, mit Stühlen und Zeremonienstäbe der Luba aus Zaire ohne nähere Erläuterungen in den tageslichtdurchfluteten, weißen Räumen vermischt. Gezielte Gegenüberstellungen akzentuierten eindrucksvoll die unterschiedlichen Formen und Rhythmen der Objekte.
Diametral entgegengesetzt arbeitet das Rosenheimer Konzept mit mystifizierendem Halblicht und schwarzen Stellwänden, mit angedeutetem Buschwerk und Palisaden, entworfen von dem heimischem Maler Rolf Märkel. All das soll wohl den „dunklen Kontinent“ evozieren. Jeder Gegenstand ist mit ausführlichen Erklärungen zu seiner alten Herkunft und meist rituellen Funktion versehen. So entsteht hart am Rand des Ethno-Kitsch eine völkerkundliche Zusammenschau, die man in der Schweiz offensichtlich vermeiden wollte.
Der Kunsthistoriker Peter Miesbeck vom Lokschuppen verteidigt seinen „didaktischen Aufbau“, der auf „die Besucher aus der bayerischen Provinz“ Rücksicht nehme. Damit bedient die Präsentation aber nur die landläufigen Erwartungen vom archaischen, magischen Fetischzeug der Buschvölker. Sie verstellt den Blick auf die künstlerische Kreativität, die enorme Vielfalt von ästhetischen Konzepten und Techniken und auf das ganz eigene Verhältnis von Form und Material der fremden Objekte.
Die didaktische Alternative zu der Weigerung von Fischli/Weiss, die afrikanischen Holzgeschöpfe auf irgendeinen einheitlichen Begriff zu bringen, müßte anders aussehen. Zu den ethnologischen Erläuterungen gehörte eine kritische Einführung in die Sichtweisen, die Europäer im Laufe des Jahrhunderts auf afrikanische Kunst entwickelt haben.
Korrekterweise müßte auch der Zusammenhang der Sammlung mit der Dada-Front, der in Rosenheim nirgendwo erwähnt wird, aufgezeigt werden. Er ließe sich, verjährt, wie er ist, wohl auch konservativen Landfrauen schonend beibringen. Die dämonische Mystifikation, wie man sie im Cabaret Voltaire betrieb, gehört schließlich auch zum Grundstock unserer Vorurteile gegenüber den „primitiven“ Kulturen. Wenn die Dadaisten mit ihren Lautgedichten „die Literatur in Grund und Boden trommeln“ wollten, wie Hugo Ball meinte, dann projizierten sie schließlich nur die Vorstellungen eines kriegerischen Europas auf die „Negerkunst“, unter der man im übrigen Buschtrommeln und Ragtime gleichermaßen verstand.
Dagegen erweist sich der künstlerische Gestus, dem die Skulpturen entstammen, keineswegs als Kraftakt mit Hammer und Meißel, sondern als vorsichtige Erkundung eines formalen Willens im Holz selbst. Das führt zu raffinierten ästhetischen Lösungen, wie sie sich etwa an den Thronsitzen der Songye und Luba aus Zaire zeigen. Die kniende weibliche Sockelfigur sieht mit ihrem grimmigen Lächeln so aus, als könnte sie im nächsten Moment – wenn sich der Falsche niederläßt? – alles hinschmeißen. Maskenaufsätze der Bamana etwa verjüngen sich wie filigrane gotische Kapitelle in den Luftraum hinein.
Generell stellen die komplizierten Aufsätze vieler Masken architektonisches Raumgefühl unter Beweis. Eine Magbomaske der Coruba (Nigeria) macht beispielsweise deutlich, daß Figuren auch in naturalistisch bewegten Posen dargestellt werden konnten. Afrikanische Kunst, soviel ahnt man selbst in Rosenheim, ist viel mehr als starre Fetischfiguren. Nur ist sie im Gegensatz zu den Exhibitionisten im Cabaret Voltaire dezent. Denn die Fetische hüten in ihrem Inneren den Atem der Vorfahren. Henrike Thomsen
Die Ausstellung „Afrikanische Kunst“ ist bis zum 26. Oktober im Ausstellungszentrum „Lokschuppen“ in Rosenheim zu sehen. Katalog:
48 DM
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