Lebensmotto: Elvis

Der Gott des Rock 'n' Roll ist 20 Jahre tot. Drei seiner deutschen Fans beichten, warum er ihnen etwas bedeutet  ■ Von Kirsten Niemann

Frank Hesse: Mit King Elvis zum DDR-Exoten

Der 16. August 1977 war für den damals zehnjährigen Frank Hesse ein besonderes Datum: Längst hatte er schlafen sollen auf seiner Pritsche im Schlafsaal des Jugendfreizeitheims in Wittstock. Wie die meisten Jungs in der ehemaligen DDR hörte er heimlich Westradio. An diesem Tag gab es nur ein Thema, ob im Rias, auf der Europawelle Saar oder auf NDR2: Elvis ist tot. „Stundenlang spielten sie seine Songs. Und ich wurde zum Fan“, erinnert sich Hesse an die Geschichte seiner Bekehrung, die etwas klingt, als hätte er sie sich ausgedacht. Als er schließlich mit pomadig zurückgekämmtem Haar aus den Ferien zurück nach Königs Wusterhausen kam, fanden seine Eltern das überhaupt nicht witzig.

„Was Hitler während des Dritten Reiches nicht geschafft hatte“, so erklärte ihm die Geschichtslehrerin, „versuchen nun die US-Imperialisten mit Elvis Presley.“ So wurde Frank Hesse zum Exoten in der DDR. Presley und sozialistische Moral – das waren zwei Welten, die nicht zusammenpaßten. Die Tolle wurde ihm von den Eltern umgehend verboten. Trotzdem hielt der Rock-'n'-Roll-Konvertit tapfer an seinem Idol fest: Elvis wurde zum Hobby.

Seit damals beschäftigt er sich quasi rund um die Uhr mit Presley. Von morgens bis abends hört Frank Hesse noch heute seine Musik und liest über ihn, was er in die Finger kriegen kann. Seit 1990 fährt er sogar zu den Jahrestreffen der deutschen Elvis-Presley-Gesellschaft nach Bad Nauheim. Denn dort hatte Elvis zwischen 1958 und 1960 gedient. Hier treffen sich alle, die eine besondere Beziehung zum King haben – ob nun ältere Muttis, jüngere Fans oder professionelle Imitatoren. „Die Stimmung ist da immer ganz familiär“, findet Frank Hesse. Kein Wunder. Denn wer einmal zum Presley-Fan wurde, der bleibt es meist sein Leben lang. Elvis' Fans lieben nicht einfach nur Rock 'n' Roll, sondern verehren den Sänger als solchen. Deshalb reden seine Jünger auch lieber über ihn als über sich selbst.

Hesse bewundert an Elvis vor allem „den Mut, das zu tun, was er selbst für richtig hielt, auch wenn er dafür von anderen verachtet wurde“. Was ist schon dabei, wenn einer gern Cadillacs an die Armen verteilt? „Ich kann die Leute nicht verstehen, die Elvis ablehnen, nur weil er am Ende dick geworden ist“, verteidigt Hesse sein Vorbild. „Und Drogen hat er nie genommen. Wer das behauptet, lügt.“

Frank Hesses Traum war es, Schauspieler zu werden. Wie James Dean und Elvis Presley, deren Filme er übrigens erst nach der Wende sehen konnte. Das fanden die Eltern erst albern. „Blödsinn“, hatte die Mutter gesagt, „dann mußte gut in der Schule sein. Vor allem im Sport.“ War Frank aber nicht. Und die Waage schlug bei ihm lange Zeit an dem gleichen Punkt aus wie bei dem King, kurz bevor er starb. Bei den Eltern hat er es denn auch nicht mehr lange ausgehalten. Noch als 17jähriger zog Frank zu seiner Großmutter, mit der er bis heute noch in einer Dreizimmerwohnung in Prenzlauer Berg im Osten Berlins lebt.

Hesses Zimmer könnte als Berliner Filiale eines Elvis-Presley- Museums durchgehen. Poster und späte Picture-Disc-Pressungen kleben an den Wänden. Keine Originale mehr, aber dazu war der Sammler eben doch zu spät dran: Vor der Wende gab es in der DDR keine Elvis-Devotionalien.

15 Quadratmeter voller Memorabilien und Nippes, Hunderte von Schallplatten in der Schrankwand, die meisten vom King. Neben den Büchern über Traumdeutungen findet sich jede Menge über Elvis, wie die großen Ordner, in denen sämtliche Ausgaben von Graceland archiviert sind, dem größten deutschsprachigen Fanzine für Elvis-Freunde, die es ernst meinen. Und überall gerahmte Elvis-Fotos. „Wen hätte ich sonst schon da reinstecken sollen?“

Die Phase mit dem Übergewicht ist vorbei. „Irgendwann hat es in meinem Kopf klick gemacht“, erzählt Hesse. Er hat sich im Fitneßstudio angemeldet, 30 Kilo abgenommen und sich bei einer Statistenagentur eingetragen. Erst vor einem halben Jahr ließ sich der ehemalige Bauarbeiter erstmals mit dem Shuttle in die Babelsberger Studios bringen, zu den Dreharbeiten von „OP ruft Dr. Bruckner“. Was die Schauspielerei angeht, will Hesse noch lange nicht aufgeben. Woher man auch kommt, man kann alles schaffen. „Hat mir der King ja vorgelebt.“

Eleonore Maiwald hofft: „Love me tender“

„Ja, gibt es denn eine schönere Musik?“ fragt die Berlinerin Eleonore Maiwald mit einer Begeisterung, daß man ihr selbst gegen jede andere Überzeugung kaum widersprechen mag. Sie ist bekennender Elvis-Fan, seitdem ihr ihr Mann 1956 mit „Love me tender“ – was übrigens bis heute noch ihr Lieblingssong ist – die erste Single geschenkt hat. Ihr Mann, der sei zwar „nicht so verrückt mit dem Elvis“ wie sie selbst, unterstütze ihr Hobby jedoch nach Kräften. Vor einigen Jahren, zu ihrem 50. Geburtstag, hat er ihr ein goldenes Vinylstück von „Love me tender“ geschenkt. Es prangt nun auf ihrer Anrichte unter einem Elvis-Poster.

Wie man nach einem kurzen Blick auf die Schrankwand feststellen kann, läuft auch bei den Maiwalds nichts ohne den König. Hier hängt Elvis als Briefmarke, dort liegt er als Briefpapier. Dann eine Spieluhr, auf deren Ziffernblatt eine rote Rose prangt, die vom Schriftzug „Love me tender“ garniert ist. Wenn man am Stiel knipst, läuft das Lied. Ein halb aufgeklapptes Michael-Jackson-Poster lugt hinter einer Presley-Büste hervor. Von dessen Musik halte sie eigentlich nicht soviel, gesteht die ehemalige Zahnarzthelferin. Doch schließlich sei er ja mal „mit der Lisa Marie gegangen“.

Nicht nur Sohn Karsten bekam Elvis mit der Muttermilch verpaßt, daß er bis heute, nach seiner Heirat, immer noch ein Poster an seiner Wohnzimmerwand hängen hat. Auch der dreijährige Enkel Chris läßt bereits unter der Anleitung seiner Großmutter zum Rock 'n' Roll das Becken kreisen. „Und bei ,Love me tender‘ schläft er immer ein“, strahlt die Omi. Heute abend, wenn sie zum Gedenkmarsch an den Ku'damm geht, wird sie ihr schönstes Presley- T-Shirt tragen, ein recht enganliegendes in Pink mit einem glitzernden Bildaufdruck. Das hatte sie bislang erst einmal getragen, nämlich vor zehn Jahren bei der Gedenkfeier zum 10. Todestag. „Wenn der Elvis damals mich geheiratet hätte“, glaubt sie fest, „würde er heute noch leben!“

Claudius Fabig: Mit Elvis glücklich im Paradies

Der 33 Jahre alte Claudius Fabig legt Wert darauf, daß man ihn nicht für einen der vielen Verrückten hält, die überall Elvis' Bilder aufhängen, Nippes sammeln und den King für den besten Menschen der Welt halten. „Ich fing erst langsam an, mich für Elvis zu interessieren“, erklärt Fabig. „Erst fand ich die Musik einigermaßen interessant, irgendwann später gar nicht mal so schlecht und beim dritten Hören schließlich super!“ Was zumindest eine Erklärung dafür sein könnte, daß er es auf mittlerweile über 600 Elvis-Tonträger in seiner Sammlung gebracht hat.

Ob der Buchautor* das nun beabsichtigt hat oder nicht: Mit „Glücklich im Paradies“, seinem biographischen Elvis-Roman, bei dem – „um Elvis zu schützen“ – lediglich Namen der Personen und Schauplätze geändert wurden, konnte der Unternehmensberater für Sauna- und Solariumanlagen Fabig die Hirngespinste sämtlicher Leute nähren, die Elvis in den vergangenen 20 Jahren leibhaftig gesehen haben wollen. Der Hobbyautor malt sich aus, wie der King heute noch lebt: Braungebrannt, durchtrainiert und wieder schlank gehungert, bewohnt er auf einer kleinen Pazifikinsel eine 19-Zimmer-Villa und verbringt seine Zeit damit, mit seinem Hund Wettrennen bis zum Strand zu veranstalten. Eine skurrile Geschichte? Fabig beteuert, auf einer Amerikareise vor Jahren einen Engländer kennengelernt zu haben, der ihm nach einigen Scotch das Geheimnis anvertraute: „Ich bin Elvis' bester Freund, und Elvis lebt!“ Der Mann, der nebenberuflich die Heimwerkersendung „Tips und Tricks“ und das „Sonne, Sauna, Fitneß“-Programm auf dem Berliner TV-Kanal FAB moderiert, hielt die Story natürlich für spinnert. „Doch irgendwie fand ich die Idee auch ganz witzig und schrieb die Geschichte einfach mal auf.“ Im Laufe seiner Recherche, bei Gesprächen mit Zeugen und Besuchen auf Graceland, stieß er tatsächlich auf „Ungereimtheiten“.

„Elvis wollte aussteigen“, vermutet der Autor, „und in seinem Grab könnte ein ehemals obdachloses Double liegen, das rein zufällig in Graceland gestorben ist.“ Doch der entscheidende Punkt: „Die Tatsache, daß Elvis zweiter Vorname Aaron mit nur einem einfachen A falsch auf den Grabstein gemeißelt wurde. So was passiert doch nicht bei Elvis!“

Obwohl Claudius Fabig es sich verbittet, als Elvis-Fan bezeichnet zu werden, nehmen seine sonst eher spöttisch-belustigt blickenden Augen plötzlich einen ernst- schwärmerischen Ausdruck an, wenn er über ihn redet. „Elvis hat die simplen christlichen Phrasen, die man auch als Nichtgetaufter für sich geltend machen kann, gelebt“, versucht er Elvis' Popularität zu erklären. „Es ist diese Offenheit des kleinen Mannes und der unerschütterliche Glaube daran, daß alle Menschen gleich sind. Leben und leben lassen – das ist eine Maxime, die ich auch gut finde.“

*C. Fabig: „Glücklich im Paradies – Still alive in Paradise“, Scheffler-Verlag, Herdecke