■ Die Linke und Europa (5): Der Euro ist das falsche Objekt für ein richtiges Anliegen, die Nation ist die falsche Therapie
: Linke Geisterheiler

Ein Gespenst geht mal wieder um in Europa. Das Gespenst des Globalismus. Es ist der Linken, namentlich der deutschen, in die Knochen gefahren und läßt sie nun zu allerlei wunderlichen Mittelchen aus dem Giftschrank des politischen Gegners greifen.

Wo Karl Marx noch die Bourgeoisie feierte, die „nach einem stets ausgedehnten Absatz für ihre Produkte über die ganze Erdkugel jagt“ und „zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen hat“, suchen seine politischen Urenkel ihr Heil vor dieser Globalisierung auf eben jenem nationalen Boden. Und wo den Ahnherrn die Gewißheit beseelte, daß auch diese Entwicklungsstufen der Bourgeoisie „von einem entsprechenden politischen Fortschritt begleitet“ seien, ist 150 Jahre später der Linken diese Zuversicht abhanden gekommen. Wo das transnationale Kapital sich anschickt, der „allseitigen Abhängigkeit der Nationen voneinander“ mit einer europäischen Währung ein Äquivalent zu geben, sieht diese Linke dadurch die Demokratie bedroht und rüstet zu ihrer Verteidigung just an jener Linie, an der der von ihr angefeindete Staat seine Grenze hat. Soviel Idealismus verlangt danach, auf die Füße gestellt zu werden.

Wie groß muß der Schrecken sein, den zu bannen das hehre Prinzip des Internationalismus über Bord geworfen wird? Oder malen hier nur ein paar abgefeimte Geisterheiler ihre eigenen Gespenster an die Wand? Die Rückbesinnung auf das Nationale verwundert zumindest, war doch dessen Beschränktheit Ausgangspunkt konkreter linker Utopien.

Weit besser als diese Linke hat das Kapital die Vorzüge des entgrenzten Lebens erkannt. Es kämpft nicht mehr mit der Arbeit um die Anteile am Mehrprodukt, sondern entzieht sich ihr, um sie solchermaßen ihrer Handlungsmöglichkeiten zu berauben. Es weist den Nationalstaat in Grenzen, innerhalb derer er die Wirtschaft kaum mehr steuern kann. Jede Mark, in Keynes Namen zur Konjunkturbelebung vergeben, droht mangels hinreichender Renditeerwartung in die spekulativen Kapitalflüsse zu gleiten. Das magische Dreieck lautet steigende Profite der Unternehmen, sinkende Einkommen der Bevölkerung und fallende Staatseinnahmen. In diesem Triangel löst sich der Wertekern der Arbeitsgesellschaft auf. Die Teilhabe an ihr ist nicht mehr gesichert. Manche sehen damit bereits die zivilisatorische Legitimation des Kapitalismus schwinden. Nun wird dieser Vorhalt das Kapital kaum zur Einkehr bewegen. Doch böte dessen Reregulierung in einem europäischen Ordnungsrahmen die Möglichkeit, die Arbeitsgesellschaft zu modernisieren und so ihren Wertekern zu retten.

Die europäische Integration ist ein Prozeß der Deregulierung der Märkte, an dessen vorläufigem Ende eine Stärkung der globalen Wettbewerbsposition innerhalb der Triadenkonkurrenz mit dem amerikanischen und dem ostasiatischen Raum steht. Eine einheitliche Währung dient dem Ausbau dieser Position. Der Euro ist eine Maßnahme zur Stabilisierung des Geldmarktes, die mit dem Verlust der Möglichkeit bezahlt wird, nationale Schwächen durch Änderung der Wechselkurse auszugleichen. Seine Alternative wäre die Herausbildung einer Leitwährung Mark, verbunden mit den entsprechenden Erträgen bei Schwäche der angekoppelten Währungen. Zwischen diesen beiden Vorteilen pegelt die derzeitige Diskussion um den Euro. Für die bereits wirksam gewordenen Resultate der Deregulierung in Deutschland läßt sich weder Verschlechterung noch Linderung prognostizieren. Allerdings läßt sich vorhersagen, daß die Einführung des Euro eine politische Integration Europas forcieren wird. Denn die Macht der Europäischen Zentralbank resultiert aus ihrem bürokratischen Charakter. So schlüssig das in der Sache begründet ist, so reicht es nicht, ihren Entscheidungen auf Dauer die notwendige Legitimation zu verleihen, zumal sie die erheblichen Folgeprobleme dieser Entscheidungen in das Reich der Nichtzuständigkeit verweist. Diese Folgeprobleme werden eine gemeinsame Wirtschafts-, Struktur-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erzwingen. Eine Vertiefung entlang der realen Verwerfungen, das wird der europäische Prozeß sein, wohingegen die Forderung, erst die gemeinsame Politik zu definieren und dann zu beginnen, die Aufgabe von Handlungsoptionen bedeutet. Eine Linke die sich diesem Prozeß stellt, müßte allerdings ihre eigene Politik entnationalisieren, müßte dem Ziel der gesellschaftlichen Gleichheit und sozialen Gerechtigkeit den Interessenausgleich zwischen den Nationen und Regionen zuordnen.

Die Interessendifferenzen im europäischen Rahmen verlangen nach einem Ausgleich, der, solange er nicht gefunden ist, den Nationalstaaten allerdings noch eine zentrale Rolle zuweist. Es reicht nicht, in Anbetracht des allseits bemängelten Demokratiedefizits mehr Kompetenzen für das Europäische Parlament zu fordern. Dessen Mehrheitsentscheidungen besitzen nicht aus sich heraus Legitimationskraft, sondern bedürfen selbst der Legitimation. Es bedarf einer gemeinsamen Identität der den Beschlüssen Unterworfenen, sollen sie nicht als Oktroi empfunden werden. Diese Identität ist als europäische nicht gegeben. Sie muß und kann sich auch nicht aus einer vorverständlichen gemeinsamen Kultur ableiten.

Damit zu ihrer Entwicklung überhaupt die Möglichkeit besteht, ist es erforderlich, daß das Gemeinwesen in seiner Mitte die Formierung eines unabhängigen öffentlichen Raumes erlaubt, in dem Fragen von Identität, Legitimation und Souveränität fortwährend Gegenstand von Debatten sein können. Nur dadurch können neue Identitäten auftauchen. In diesem Kontext hätte die Debatte um eine europäische Verfassung ihren Stellenwert. Europa schafft sich in der Auseinandersetzung um sich selbst, und in diesem Prozeß werden die Nationen die Rolle eines konkurrierenden und korrigierenden Souveräns innehaben. Die daraus resultierende Parallelität von majoritärer Demokratie und multilateralen Verhandlungssystemen verleiht dem europäischen Prozeß die ihm eigene Zählebigkeit, aber auch das erforderliche Maß an Legitimation und Akzeptanz. Nationalstaaten werden folglich auf absehbare Zeit noch eine positive Rolle in der Europäischen Union spielen, nicht als Entgegensetzung, sondern als deren Bestandteil. Bis sie womöglich eines Tages, wenn schon nicht absterben, so doch bedeutungslos werden. Aber auch das könnte ein linker Traum sein – man ist ja bescheiden geworden. Dieter Rulff