„Das ist geschmacklicher Analphabetismus“

■ Der Gastronom und Winzer Fritz Keller über Maggi im besonderen, Fertigprodukte im allgemeinen, über den zunehmenden Verlust an Geschmack und Riechkurse in Frankreich

taz: Wann haben Sie zuletzt ein Maggi-Produkt verwendet?

Fritz Keller: Professionell überhaupt nicht. Vor drei oder vier Jahren habe ich im Winter mal eine „heiße Tasse“ probiert.

Wie hat's gemundet?

Grauslig. Das Produkt hatte nichts mit dem zu tun, was auf der Packung stand: Gemüseboullion. Sie hat nur nach Salz geschmeckt.

Und die Maggi-Flasche?

Die kenne ich aus meiner Kindheit. Es gibt ein Gericht, bei der die Maggi-Würze ganz gut paßt: ein Feldsalat. Der Liebstöckelgeschmack kommt da ganz gut raus. Ich mach' den mit Nußöl an, etwas mildem Weinessig und feingehacktem frischem Liebstöckel aus dem Garten. Wunderbar!

Maggi sagt, in ihrer Würze sei gar kein Liebstöckel drin.

Um so schlimmer.

Wie erklären Sie den Siegeszug der Fertigprodukte?

Das begann mit den sozialen Veränderungen. Immer mehr Frauen wurden erwerbstätig und hatten nicht mehr die Zeit, um selbst zu kochen. Vielleicht ist es auch Faulheit, Bequemlichkeit. Wer kocht denn heute noch seine eigene Hühnerbrühe? Das hat auch viel mit Unkenntnis zu tun. Die Leut' haben sich immer weiter von den ursprünglichen Produkten entfernt. Viele Kinder wissen nicht mehr, wie bestimmte Nahrungsmittel im Urzustand überhaupt aussehen. Und immer weniger Erwachsene können heute noch richtig kochen. Sie können auch nicht mehr schmecken. Selbst in Frankreich macht man Riechkurse, damit die Kinder wieder ein Gefühl für Nahrungsmittel bekommen. Das ist geschmacklicher Analphabetismus.

Gleichzeitig gibt es aber einen Trend zum Natürlichen und Gesunden.

Das ist das schlechte Gewissen. Die Leute wissen ja, daß das verpackte Zeug nichts taugt. Aber leider ist inzwischen manche Fertigkost billiger als das Rohprodukt. Das ist das Paradoxe. Es stimmt nichts mehr im Nahrungsmittelsektor. Das Verhältnis vom Nahrungsmittelkonzern zum Konsumenten entspricht etwa dem des Großbauern zu seiner Massentierhaltung. Der Verlust des Geschmacks, die Batteriehühner und die vielen ökologischen Probleme – das geht vor allem auf die industrialisierte Struktur der Lebensmittelerzeugung zurück.

Nur noch jeder fünfte Deutsche kocht selbst. Gleichzeitig boomen Kochbücher.

Verrückt! Es ist heute fast schon Luxus, selber zu Hause in Ruhe am Herd zu stehen. Natürlich ist es auch eine Einkommensfrage. Frisch und gut einzukaufen kann sich nicht mehr jeder leisten – eine katastrophale Entwicklung.

Die einen haben Aldi und Maggi, die anderen essen im teuren „Schwarzen Adler“ in Oberbergen am Kaiserstuhl oder kochen selbst.

Ich hoffe wirklich, daß es nicht zu dieser Zweiteilung der Gesellschaft kommt. Wir sind keineswegs teuer. Aber wir haben zwölf Köche in der Küche, die alles frisch zubereiten. Und wir kaufen Topprodukte beim Bauern, den wir anständig bezahlen. Das ist eben ein ganz anderer Aufwand.