Voscheraus Standesdünkel

■ Rot-Grün gibt es nur, wenn die SPD ihn zwingt

Wenn Sozialdemokrat Henning Voscherau seine Stimme zu einem distinguierten kleinen Vortrag über die auch in seiner Partei umstrittenen Themen Innere Sicherheit, Ausländerkriminalität oder geschlossene Heime erhebt, schweigen die GenossInnen. Nicht umsonst nennen sie ihren Bürgermeister den „ungekrönten König“ von Hamburg.

Sie wollen die Wahl in fünf Wochen gewinnen und wissen: Sein Beliebtheitsgrad ist um Längen höher als die Umfrageergebnisse der SPD. Sein Auftreten im Streit um die Reform der Einkommensteuer hat seine Popularität auch bundesweit noch erhöht. Die Mehrheit der Partei will eine rot-grüne Koalition. Doch was kümmert es den hanseatischen Regenten? Entweder die SozialdemokratInnen tanzen zu dem von Voscherau vorgegeben Wahlkampftakt mit rechten Tönen. Oder, so machte er der Hamburger SPD klar, sie müssen sich eben einen anderen Spitzenkandidaten suchen. Anders als beim niedersächsischen Kanzlerkandidat-Aspiranten Gerhard Schröder ist Voscheraus Grünen-Feindlichkeit mehr als Säbelrasseln. Die Grün-Alternativen sind dem durch und durch bürgerlichen Voscherau suspekt.

An die grüne Präsenz im Landesparlament hat er sich nach 15 Jahren zwar mit Mühe gewöhnt. Doch noch immer sieht er den Untergang des hanseatischen Abendlandes drohen, wenn eine rot-grüne Koalition erwogen wird. Populist Schröder wittert längst, daß er auf dem Weg zu den Fleischtöpfen der Macht in Bonn an den Bündnisgrünen nicht vorbeikommt. Voscheraus Sinne sind angesichts der jahrzehntelangen sozialdemokratischen Alleinherrschaft in Hamburg abgestumpft. Wenn die Wahlergebnisse es zulassen, wird er den Weg des geringsten Widerstands gehen und mit den Liberalen oder der Querulantenvereinigung Statt Partei gemeinsame Sache machen. Doch dank der nahenden Bundestagswahl wird eine Große Koalition für den Hamburger Regierungschef mit bundespolitischen Ambitionen schwierig werden.

Für einen Machtwechsel in Bonn wäre ein Bündnis mit der CDU ein denkbar schlechtes Signal. Dennoch wird Voscherau den Preis für Rot-Grün nicht zahlen wollen. Da werden die Parteistrategen der Bundes-SPD dem Norddeutschen etwas auf die Sprünge helfen müssen. Silke Mertins

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