Militärhelm und Reis-Licht-Aktion

■ Das 14. Internationale Sommertheater Festival mit Tanz aus Taiwan und Benin eröffnet

Wer mit dem Auto kam, begann den Abend mit einer kleinen Odyssee. Glaubte man den Veranstaltern, endete sie in der Vorhölle: Wiederholt entschuldigten sich Gabriele Naumann und Dieter Jaenicke für die Parkplatznot ob der begonnenen Randbebauung des Kampnagelgeländes und für die bratende Hitze in den Hallen. Dabei versprach doch die Eröffnungsveranstaltung des 14. Internationalen Sommertheater Festivals sowieso die Überwindung irdischer Unwegsamkeiten: Das taiwanesische Cloud Gate Theatre wollte das Publikum zweifelsohne an die Himmelspforte führen.

Im Anfang war der Ton. Ein beständiges Rauschen. Dann kam das Licht und enthüllte das Geheimnis des Klangs: Vom Bühnenhimmel rieselt Reis, unaufhörlich auf die zum Gebet gefalteten Hände. Neunzig Minuten steht ein hinduistischer Mönch unbeweglich am Bühnenrand, während sich um seine Beine ein goldener Reishaufen türmt. In seiner konzentrierten Stille und Regungslosigkeit ist er der größte Tänzer des Abends.

Songs of the Wanderers heißt die Choreographie, mit der das 23köpfige Ensemble aus Taipeh seit 1994 den Weg indischer Pilger in neun Bildern auf die Bühne bringt. Choreograph Lin Hwai-Min, der das Cloud Gate Theatre vor 25 Jahren gründete und für seine elegante Mischung asiatischer und europäischer Tanztraditionen und -techniken im letzten Jahr mit dem New Yorker „Award of Livetime Achieve-ment“ausgezeichnet wurde, hat trotz der Größe des Ensembles mit den Songs ein äußerst reduziertes Stück geschaffen. Es führt ausgiebig Monotonie und Mühsal der schier endlosen Pilgerfahrt vor Augen – was leider, wenn man nicht zum Meditieren ins Theater gekommen ist, über weite Strecken monoton und schier langweilig ist.

Die Songs sind reines Bildertheater, das den Betrachter, zumindest den europäischen, stets außen läßt. Nach mehrstündiger Tai-Chi-Vorbereitung bewegen sich die Tänzer in einer hermetischen Welt. Knorrige Pilgerstäbe in den Händen, wirken sie selbst bisweilen wie ein kleiner Zauberwald, aus dem sich mal eine ätherische Frauenfeengruppe, mal ekstatische Männer lösen. Geißelungen und rituelle Waschungen werden zu georgischen choralen Volksliedern vollzogen, ohne in ihrem Grad von Entrücktheit nachvollziehbar zu sein. Natürlich sieht es beeindruckend aus, wenn 3500 Kilogramm Reis vom Bühnenhimmel fallen oder gegen das Licht nach oben geschleudert werden, aber ob das eine Bedeutung hat, erschließt sich nicht. Und als Effekt, so wunderbar er ist, ist die Licht-Reis-Aktion über anderthalb Stunden zu wenig.

offi Kôkô wendet sich mit seinem Solo D'une Rive a l'Autre sehr viel direkter ans Publikum. Der in Benin aufgewachsene, in Paris lebende Tänzer erzählt mit drei Perkussionisten und seinem Körper eine kurze Stunde lang von der Kolonisierung seines westafrikanischen Heimatlandes. Und, vor allem, von der körperlichen und spirituellen Souveränität, die den Kolonialisierten geblieben ist. Mutet die Choreographie anfangs noch pantomimisch an – eine Schale ist Napf, wird schwangerer Bauch, Schutzschild, Militärhelm – löst Kôkô sich bald von den plakativen Bildern und wandelt sich von einer Marionette in eine wie von Picasso vielschichtig gezeichnete moderne Figur. Zu den Trommeln kommt der Jazz, zum animistischen Ritual der Modern Dance. Die Techniken vermischen sich, ohne daß eine Hierarchie angedeutet wird. In einem starken Moment hält Kôkô inne und spricht ernst auf seiner Sprache ins Publikum. Da staunt der Kolonialherr: Wir sind die, die nicht verstehen. Christiane Kühl