Die Konzeption diktiert der Zufall

■ Kritisch angehört: Die CD-Produktionen der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen / Zweiter Teil

Der traurig berühmten Ausstellung der Nazis in München im Jahr 1937, auf der eine als „entartet“definierte Kunst zusammengefaßt wurde, folgte eine weniger bekannte Parallele ein Jahr später in Düsseldorf, wo man „entartete Musik“kennenlernen sollte. Der ungarische Komponist Béla Bartók hielt das für einen Ehrentitel und bat 1938 um die Aufnahme seiner Musik in diese Ausstellung. Die Musik, die gebrandmarkt wurde, stammte von Komponisten, die emigrierten, aber auch solchen, die es nicht mehr geschafft haben und in den Gaskammern ermordet wurden. Zu letzteren zählt der 1893 geborene Erwin Schulhoff (Decca). In seinen Kompositionen, von denen die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Andreas Delfs jetzt die „Concertos alla Jazz“eingespielt hat, spielt der grenzenlos einfallsreiche Rhythmus eine entscheidende Rolle. Die CD enthält das Klavierkonzert aus dem Jahr 1923, das Doppelkonzert für Flöte und Klavier von 1927 und das 1930 komponierte Konzert für Streichquartett und Orchester. Neben allem dokumentarischen Wert bleiben diese Einspielungen in ihrem immer auch sehr zeitgebundenem, musikantischem Gestus Geschmackssache. Eine Rarität ist die Hereinnahme dreier Originalaufnahmen, die Schulhoff selbst spielt: ein „Pianist mit blendender Technik und beispiellosem Gedächtnis“, wie ihm eine Kritik 1925 bescheinigte. Die Aufnahmen aus dem Jahr 1928 sind technisch erstaunlich gut und damit viel mehr als nur historisch aufschlußreich.

Um noch bei den Solokonzerten zu bleiben: Mozarts Klavierkonzert KV 488 und KV 491 spielt der russische Pianist Mikail Pletnev (Virgin). Das ist schön gemacht, kann aber mit einer wichtigen Vergleichseinspielung wie der mit Malcolm Bilson unter John Eliot Gardiner nicht konkurrieren. Moderate Verspieltheit erklingt bei Pletnev statt existentieller Brüchigkeit, Melancholie und Dramatik, für die gerade Mozarts späte Konzerte stehen. Das wundert ein wenig, denn für drei Konzerte von Josef Haydn entwickelt Pletnev atemberaubend aufregend dessen pfiffige Formexperimente. Die nachschöpferische Qualität nimmt hier Formen des Spiels eines Glenn Gould an. Einer der exzentrischsten Pianisten unserer Zeit, der dreißigjährige Finne Olli Mustonen, spielt mit der Kammerphilharmonie ein autorisiertes Unikum ein. Die Klavierfassung des Violinkonzertes von Ludwig van Beethoven klingt weitgehend wie eine Karikatur (Decca). Olli Mustonen knallt die verzackten und ungewöhnlichen agogischen Anweisungen heraus, daß es nur so eine Lust ist. Der Transposition des Bachschen Violinkonzertes in E-Dur – auch von Bach selbst – für Klavier kann ich wenig abgewinnen, der unhistorischen Spielweise auch nicht.

Von Beethoven gibt's das Fragment einer geplanten Gesamteinspielung der Sinfonien, die von der Firma Berlin Classics abgebrochen wurde. So liegen die Sinfonie 1 bis 4 unter der Leitung von Heinrich Schiff kompetent und mit zupackender Dramatik vor, ohne indes durch Einzigartigkeit überzeugen zu können. Das geht angesichts der unüberschaubaren Konkurrenz auch gar nicht mehr. Möglich ist es noch bei Franz Schubert, von dem durch Frieder Bernius und seinen exzellenten Stuttgarter Kammerchor eine durch und durch sensible Einspielung der großen Messe in Es-Dur vorliegt (Berlin Classics). Überzeugend und kräftig werden die Schubertschen Eigenwilligkeiten dieses von den Romantikern so geschätzten Werkes aus seinem Todesjahr herausgearbeitet. Eine vergleichbar differenzierte Einspielung gibt es von dem 114. Psalm und „Lauda Sion“von Felix Mendelssohn Bartholdy (Carus-Verlag Stuttgart). Mit dem Hinweis auf das Oktett von Franz Schubert und die technisch beispiellos überragende Wiedergabe der großen Fuge op. 133 von Beethoven (Teldec) sei der Blick auf die CD-Produktionen der Deutschen Kammerphilharmonie abgeschlossen.

Sollte das eher von Zufälligkeit und Beliebigkeit charakterisierte Einspielungsprogramm jemals von einer Konzeption ersetzt werden, so wäre es wichtig, auf die Besonderheit der Interpretation oder des Repertoires zu achten. Alle CDs sind im Handel und bei der Deutschen Kammerphilharmonie erhältlich. Ute Schalz-Laurenze