„Mädchen wollen mehr Nischen“

■ Nasi Alimardani erforscht die unterschiedliche Nutzung der Stadt von Jungen und Mädchen

Wie nehmen Mädchen den öffentlichen Raum wahr? Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede über Wahrnehmung und Aneignung von Stadt? Nasi Alimardani, 33, studiert Landschaftsplanung an der Technischen Universität und schreibt gerade darüber ihre Diplomarbeit. Sie referierte in der vergangenen Woche beim 64. Stadtforum, das sich mit Jugend und Stadt befaßte, über die vorläufigen Ergebnisse ihrer Arbeit.

taz: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, über Mädchen und deren Wahrnehmung des öffentlichen Raums zu forschen?

Nasi Alimardani: Ich arbeite schon sehr lange in Frauen- und Mädchenprojekten und wollte gerne das Praktische mit theoretischer Arbeit verbinden. Außerdem hat das mit meiner eigenen Geschichte zu tun: Ich lebe erst seit 13 Jahren in Deutschland und komme aus dem Iran. Dort bin ich in zwei Kulturen aufgewachsen, einerseits sehr westlich, andererseits traditionell-religiös. Ich hatte als Mädchen sehr wenig Freiräume. Mein jüngerer Bruder durfte draußen spielen, und ich mußte meiner Mutter in der Wohnung helfen.

Wie sieht Ihr Forschungskonzept aus?

Als erstes habe ich mir die wenigen theoretischen Abhandlungen zum Thema Mädchen und ihre Inanspruchnahme des städtischen Raums angeschaut. So ist bereits erforscht worden, daß Jungen häufiger als Mädchen draußen auf der Straße oder im Park spielen. Mädchen spielen lieber in kleinen Gruppen. Die Freiräume, in denen sie sich bevorzugt aufhalten, sind Innen- und Hinterhöfe und Hauseingänge, also wohnungsbezogene Räume. Straßen mögen eher ältere Mädchen, so ab 14 Jahren. Parks werden um so häufiger benutzt, je näher sie an der elterlichen Wohnung liegen. Sportplätze sind eindeutig die Domäne der Jungs. Mädchen gehen lieber in Vereine. Und: Mädchen haben weniger Freizeit als Jungen, weil sie mehr im Haushalt helfen müssen.

Haben Sie die Literatur dann auch praktisch überprüft?

Ich wollte mir das in Berlin an einem bestimmten Wohngebiet anschauen. Da ich selbst in Schöneberg wohne und den Bezirk anhand seiner sozialen Struktur und seiner städtebaulichen Entwicklung für interessant halte, habe ich mir dort das Gebiet um die Martin- Luther-Straße und Eisenacher Straße angeschaut. Das Untersuchungsgebiet reicht im Norden an Tiergarten, im Osten an Kreuzberg heran. Mit sieben Mädchen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren, die ich durch Handzettel in Schulen und Freizeiteinrichtungen erreicht habe, habe ich dann einen dreitägigen Workshop durchgeführt. Zwei von ihnen waren arabischer und türkischer Abstammung, drei von ihnen gehen auf das Gymnasium.

Wie sah dieser Workshop aus?

Am ersten Tag haben sich die Mädchen mit Collagen, Bewegungsspielen und Gesprächen dem Thema öffentlicher Raum genähert. Über „Freiräume“ zu reden war für die Mädchen ungewohnt und fremd. Bedürfnisse konnten sie zunächst nicht formulieren. Viele hatten bis dahin keine Vorstellung, daß es in der Aneignung des öffentlichen Raums geschlechtsspezifische Unterschiede geben kann. Am nächsten Tag haben wir einen Streifzug durch das Untersuchungsgebiet mit Videokamera und Fotoapparat gemacht. Die Mädchen sollten sagen, was sie an bestimmten Orten mögen und was sie ändern würden.

Was kam dabei heraus?

Interessant war zum Beispiel der Neubaukomplex an der Pallasstraße. Sie fanden die Gegend deshalb so furchtbar, weil es dort riesige Parkplätze gibt, die teilweise unterirdisch sind. Die Straßen waren ihnen zu befahren. Sie haben sich dort nicht sehr sicher gefühlt. Der Schmutz störte sie gewaltig.

Gab es denn Verbesserungsvorschläge?

Die Autos sollten natürlich weg, statt dessen wollten sie Spielmöglichkeiten. Ein Mädchen wollte auf dem Parkplatz einen Reitstall eröffnen und die Garagen als Pferdeboxen nutzen.

Das ist ja nun nicht besonders realistisch.

Das beschreibt aber die Sehnsüchte der Mädchen, die sich mehr grüne und naturnahe Freiräume wünschen. Der Wunsch nach dem Reiterhof war ein Ausdruck davon.

Gab es denn auch ein positiveres Beispiel im Schöneberger Stadtbild?

Die Goltzstraße. Die Mädchen mochten die Straße, weil es dort viele Cafés gibt, es relativ ruhig ist und grün.

Was ist an diesen Beobachtungen mädchenspezifisch?

Zum Beispiel das Bedürfnis nach Sauberkeit. Sie wünschen sich sauberere Freiräume als Jungen. Sie wollen mehr Nischen zum Zurückziehen und Plätze, beispielsweise Sportplätze, die nur Mädchen zur Verfügung stehen. Jungen führen sich im öffentlichen Raum oft so auf, als ob er ihnen persönlich gehörte. Mädchen sind dann eher die Zuschauerinnen. Aber natürlich kann man nicht alles in geschlechtsspezifische Kategorien einteilen. Wichtig ist, daß im Laufe des Workshops die Mädchen viel häufiger Wünsche und auch Forderungen formuliert haben als anfänglich. Sie sind für den öffentlichen Raum sensibilisiert worden. Es wäre gut, wenn Mädchen direkt an der Stadtplanung teilnehmen könnten und ihre Wünsche ernst genommen würden. Interview: Julia Naumann