Der Reichstag wird zur Giftschleuder

■ Aus wirtschaftlichen Gründen soll beim Bau des Reichstagsdaches PVC verwendet werden. Der Baustoff ist bei öffentlichen Bauten des Landes, nicht aber des Bundes verboten. Grüne protestieren

Der Bund verbaut bei seinem „ökologischen“ Renommierprojekt, dem Reichstagsumbau, den Kunststoff PVC. Vorgesehen ist, auf dem begehbaren Dach PVC- Bahnen zu verlegen, um die Stabilität zu garantieren. Vor allem der Übergangsbereich zur Kuppel soll damit gestaltet werden. Das Architekturbüro Foster & Partners, das die Baumaßnahme ausgeschrieben hatte, will heute mit dem Hersteller, der Firma Grünau, den Vertrag unterzeichnen.

Nach Ansicht der Architekten sei der Einsatz von PVC als Dachhaut aus technischen Gründen notwendig. Für die Verwendung des Kunststoffes habe man sich darum entscheiden, so Dieter Müller von Foster & Partners, weil PVC „ökonomisch günstiger“ als andere Baustoffe sei. Außerdem könne das Material „komplett recycelt“ werden.

Das Material PVC gilt als hochgradig gefährlich, entstehen doch bei Verbrennungen giftige Gase. So starben beim Brand im Düsseldorfer Flughafen 1996 16 Personen an den Dämpfen, als PVC-Kabel in Flammen aufgingen. Damals waren Dioxin, Salzsäure und Kohlenmonoxyd freigesetzt worden. Der Einsatz von PVC ist nach der Landesbauordnung in der Stadt bei vom Land geförderten öffentlichen Baumaßnahmen verboten. Bei Bundesbauten gilt die Verordnung nicht. Bundesbauminister Klaus Töpfer hatte in der Vergangenheit jedoch immer wieder betont, der Bund wolle möglichst auf umweltschädigende Stoffe verzichten. Gudrun Finke, Sprecherin im Bundesbauministerium, wollte sich zu der Auftragsvergabe an die PVC-Firma nicht äußern. Sie betonte allerdings, daß „PVC bei Bundesbauten nicht verboten sei“ und der Einsatz damit nicht gegen geltendes Recht verstoße. Die Bundesbaugesellschaft Berlin (BBB), Bauherrin des Reichstages, wollte gestern keine Stellungnahme dazu abgeben.

Scharfe Kritik an der Vergabepraxis und der Entscheidung, PVC beim Umbau des Reichstags einzusetzen, übte gestern Ida Schillen, baupolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus. Es sei ein „Skandal“, den „extrem gesundheitsgefährdenden“ Kunststoff zu verarbeiten. Seine Verwendung bedeute einen „groben Verstoß gegen das im letzten Jahr in Kraft getretene Kreislaufwirtschaftsgesetz, in dem ausdrücklich die Vermeidung umweltschädlicher und nichtverwertbarer Bauprodukte festgeschrieben“ sei.

Schillen wies darauf hin, daß ein Recycling, wie Foster & Partners behaupten, nicht möglich wäre. „Bei Verbindungen von PVC und Bitumen gibt es keine Recyclingmöglichkeit.“ Außerdem sei die Behauptung falsch, PVC sei kostengünstiger als alternative Baustoffe.

Ein Gutachten des Ingenieurbüros Richard Adriaans (das der taz vorliegt) habe nachgewiesen, daß erprobte Substitutionsstoffe „billiger sind und länger halten“. Schillen forderte den Senat auf, die örtlichen Bauvorschriften auch bei Bundesbauten einzuklagen. Rolf Lautenschläger