: Zynische Versicherer
NS-Opfer haben Versicherungen auf Rückzahlungen verklagt. Doch die juristische Lage ist schwierig ■ Aus München Felix Berth
Der Zettel, mit dem alles begann, ist so groß wie eine Postkarte. Ein Stück Papier, auf dem ein Mann im Prag des Jahres 1929 notiert hat, wieviel er bei seinen drei Lebensversicherungen eingezahlt hat. Am 10. Januar 1929 waren es zum Beispiel 50.000 tschechische Kronen für die Generali-Versicherung, Police-Nummer 114.004. Zehn weitere Beträge zwischen 10.000 und 50.000 Kronen folgen in den nächsten Monaten, zum Teil auch für andere Versicherungen.
Der Mann starb ein paar Jahre danach in einem deutschen KZ. Seine Tochter Marta Corell, eine der wenigen Überlebenden der jüdischen Familie, fand den Zettel im Tagebuch des Vaters und versuchte bald nach dem Krieg, die Versicherungsprämien zu bekommen — erfolglos.
Vor ein paar Monaten nun schickte sie den Zettel an den New Yorker Anwalt Edward Fagan. Der, so hatte sie im Fernsehen gehört, vertrete Tausende NS-Opfer, die von Schweizer Banken Geld zurückforderten. Der Anwalt wußte im ersten Moment nicht, was er mit dem Dokument anfangen sollte, denn es gab keine Banken mit so merkwürdigen Namen wie Assicurazione Generali oder Riunione Adriatica. Kurz danach begriff er, daß es sich um Versicherungen handeln mußte, die während des Nationalsozialismus von Zahlungsverpflichtungen „befreit“ wurden. Und bald wurden es mehr und mehr NS-Opfer, die sich bei ihm meldeten: „Der Umfang der Ansprüche könnte sogar größer werden als im Fall der Schweizer Banken“, so Fagen bei einer Pressekonferenz gestern in München, bei der Marta Corell ihre Geschichte erzählte.
Wie zynisch Versicherungen nach der NS-Zeit mit den Opfern umgingen, läßt sich auch am Fall von Margret Zentner schildern. Die heute 75jährige Amerikanerin, die gestern ebenfalls auf die Fragen der Journalisten antwortete, hatte in den 30er Jahren eine bei der Allianz eine „Aussteuer- Versicherung“, zahlbar bei ihrer Heirat oder ihrem 21. Geburtstag. 1942 wurde sie ins KZ deportiert. Ausbezahlt bekam die Jüdin nichts, und noch 1957 behauptete die Versicherung, die Police sei „durch den Versicherungsnehmer gekündigt“ worden. „Völlig lächerlich. Damals war ich in Theresienstadt“, sagt Margret Zentner heute. Edward Fagan und sein Münchner Anwaltskollege Michael Witti versuchen nun, die Versicherungen zum Zahlen zu bewegen — bei Marta Corell die Generali-Versicherung, bei Margret Zentner die Allianz. Doch verglichen mit dem Fall der Schweizer Banken, die jahrzehntelang von nachrichtenlosen Konten profitierten, ist die Situation weniger eindeutig.
Denn erstens behielten die Versicherungen die eingezahlten Beträge nicht für sich, sondern mußten sie aufgrund diverser Gesetze an den NS-Staat überweisen – im Fall von Margret Zentner zahlte die Allianz etwa 380 Mark an den Staat. Und zweitens leistete die Bundesrepublik seit den 50er Jahren dafür Entschädigungen an die Opfer. Bei Margret Zentner waren dies 1957 knapp 1.000 Mark. Der Allianz-Sprecher, Emilio Galli- Zugaro, lehnt deshalb eine juristische Verantwortung seines Unternehmen ab: „Die Rechtslage sagt eindeutig, daß wir nicht entschädigen müssen. Allerdings: Wenn jemand vom Staat keine Entschädigung bekommen hat, sind wir bereit, zu helfen.“ Bisher habe sich aber noch kein solcher Fall gefunden. Die beiden Anwälte, die ihre Klagen vor einem New Yorker Gericht und nicht in Deutschland eingereicht haben, weisen dieses Argument zurück: „Margret Zentner hatte keinen Versicherungsvertrag mit dem Deutschen Reich, sondern mit der Allianz. Das nimmt der Allianz nicht die Verpflichtung, heute zu zahlen“, so Edward Fagan.
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