: Traumatische Ode auf die beste aller Frauen
■ Nicht ohne meine Mutter: Hal Sirowitz tritt heute abend in der „poets lounge“auf
Hinter jedem großen Mann steht eine große Frau, behaupten gerne Politikerfrauen - und ihre Männer. Das stimmt nicht. Es ist die Mutter. Niemand sonst hat so viel Einfluß auf das Werden eines Menschen. Sie ist es, die einem beibringt, daß man mit Messer und Gabel ißt, sich nicht selbst befriedigt und nicht mit offenen Schnürsenkeln herumläuft. Für den New Yorker Poeten Hal Sirowitz ist seine Mutter der Mittelpunkt seines Schaffens.
Von der amerikanischen Presse als Woody Allen des spoken word gefeiert, kommt der Ödipuspoet am Mittwoch in die poets lounge in den Mojo-Club. Dort wird die Größe aus dem „Nuyorican Poets Cafe“, die 1996 das Buch Mother said veröffentlichte, die Kindheitserinnerungen der Zuschauer heiter und melancholisch zugleich hervorholen. Mit „Don't“beginnen die meisten seiner Gedichte. Fast jeder findet sich in ihnen wieder, denn wer erinnert sich nicht an seine Mama, wie sie sagt: „Tu das nicht.“Das größte Kompliment für Hal Sirowitz ist, wenn ein Zuhörer zu ihm kommt und sagt: „Wir müssen die gleiche Mutter gehabt haben.“
Nicht mit Bitterkeit oder Haß beschreibt Hal seine Kindheitserlebnisse, obgleich die Parallelen zu den traumatischen Erfahrungen Franz Kafkas mit seinem Vater immer wieder durchklingen. Er liebte die Frau, die ihn Zeit ihres Lebens ermahnte und erzog, die aber auch nie eines seiner Gedichte gelesen hatte. Und das, obwohl er bis zu ihrem Tod 1993 schon fünf Gedichtbände veröffentlicht hatte. Skurril und zeitweise absurd sind die mütterlichen Ängste und Verbote, die Hal in seinen Gedichten beschreibt. Er erzählt z.B., wie sie ihm verbot, seinen Arm aus dem Autofenster zu strecken. Sie hatte Angst, er könne durch ein vorbeifahrendes Auto abgetrennt werden und der Vater müsse den Sprößling dann ins Krankenhaus fahren.
Erst mit 30 Jahren hat Hal Sirowitz angefangen zu schreiben und ist heute, 17 Jahre später einer der ganz Großen der New American Poetry. Unzählige Auftritte bei MTV, erfolgreiche Theaterstücke und die baldige Verfilmung seines „Poet's Life“zieren seinen Erfolgsweg. Die beiden Rockmusiker Lou Reed und Henry Rollins und der Poetry-Star Bob Holeman gehören zu seinen glühendsten Fans.
Wer einen Auftritt von Hal Sirowitz schon mal erlebt hat, weiß: Hinter jedem großen Mann steht eine Mutter.
Oliver Nachtwey
heute, Mojo Club, 21 Uhr
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