Leistungsschau der Leichenzähler

■ Wundes Fleisch und andere Nervenreizungen: Heute         abend startet das Fantasy Filmfest

Blutsaugen ist nicht gleich Blutsaugen. Unzählige Male wurde Bram Stokers Dracula-Mär schon verfilmt, und jedesmal mußte der Vampir für etwas anderes herhalten. Mal stieß er seine Beißer in unschuldige Hälse, um damit die Sehnsucht nach einer zügellosen und verbotenen Sinnlichkeit zu stillen, mal ließ er seine Opfer zur Ader wie ein Diktator, der verführt, um totalitär herrschen zu können. Lesarten gibt es beinahe so viele wie Verfilmungen, und jede Zeit hatte ihre eigene.

Blutsaugen ist nicht gleich Blutsaugen, können auch die Macher des 11. Fantasy Filmfests sagen, die mit einem kleinen Beiprogramm den 100. Geburtstag des gar nicht so fiktiven Grafen begehen. Wer in dem ansonsten üppigen Katalog zum Kino-Happening blättert, stellt fest, daß fast alle Produktionen bekannte Themen aufgreifen. Nirgendwo anders als im Fantastischen Film ist die Form des Serials und der Fortsetzung verbreiteter. Und schlüssiger. Schließlich bilden Wiederholung und Variation die große rhythmische Schlaufe eines Genres, das in den letzten hundert Jahren nie gelangweilt hat. Da kann es nicht verwundern, daß in den gut 40 Premierenvorführungen des diesjährigen Festivals gleich dreimal wieder Blut gesaugt wird.

Andererseits kann die Beschränkung auf wenige Sujets schrecklich langweilen, und Quentin Tarantino ist mal wieder an allem schuld. Durch ihn wurde eine Hausse an Gangsterstreifen ausgelöst, die die Macher des Fantasy Filmfestes mit dem Argument eingemeinden dürfen, daß wundes Fleisch und audiovisuelle Nervenreizungen auch hier bestimmend sind. Doch eine Produktion wie John Irvins City Of Industry zeigt die Schwächen jener Filme, die die Halbwelt nur als kuriose Kulisse nutzen. Wo Tarantino auf Plausibilität verzichtet, um eingefahrene Erzähltechniken zu unterlaufen, da läßt Irvin die Menschen ohne Motivation durch die Gegend straucheln. Lakonisch ist man hier, weil einem irgendwie nichts anderes einfällt. Auch nichts erwarten darf man von Curdled, für den Tarantino selbst die Produktion übernommen hat. Der niedliche William Baldwin, achgottchen, mimt hier den Serienmörder, und Angela Jones muß den ganzen Dreck dann wieder wegmachen. Pulp Fiction galore.

Interessanter sind da die ostasiatischen Reanimierungen alter Genres. Ob es als Zeichen gedeutet werden muß, daß nach Chinas Hongkong-Übernahme Japan wieder massiv auf der Kino-Landkarte erscheint, muß hier nicht geklärt werden, auf jeden Fall ist das Land reichlich vertreten. Ishii Takashis Gonin 2 verknüpft so kunstvoll wie konsequent Archetypen und Zeitgeist: Ein rachedurstiger Schwertkämpfer tut sich mit fünf Frauen zusammen, die sich eher unfreiwillig, aber schlagkräftig dem Patriarchat entziehen. Thelma und Louise mit gigantischem Schußwaffenarsenal. Das Schöne: Die Dreckschweine sind nachher alle niedergemäht, ein paar der Damen aber erfreuen sich bester Gesundheit.

Wem das zu brachial erscheint, schaut sich Das Süße der Fremden an. Selten genug schafft eine Produktion aus dem biederen Filmstandort Deutschland den Weg ins Festivalprogramm, doch Michael Kobs agiert gekonnt mit den Grundtechniken der Schauermär: Suggestion und Suspense. Zwar blitzt das Messer oft zu stark, und die sexuelle Konnotation wird zuweilen überzogen, ansonsten aber orientiert sich der Regisseur redlich an seinen Fixsternen Polanski und Lynch, die deutlich in den verstörenden Schräglagen der Kamera auszumachen sind.

Vom Debütanten zu den Altmeistern: Eröffnet wird die Leistungsschau der Leichenzähler heute abend mit Scream, dem neuen Streich von Wes Craven. Der Schrecken wird hier auf eine Meta-Ebene verfrachtet, die Schockeffekte sitzen trotzdem. Das ist auch das Wirkungsfeld, in dem Dario Argento arbeitet, dem die Retrospektive gewidmet ist. Tiefenpsychologie nach Art von Hitchcock trifft bei dem Italiener auf visuelle Attacken, die ihn zum Helden der Horror-Gemeinde gemacht haben.

Noch gar nicht so alt, aber trotzdem schon ein Großer ist der Neuseeländer Peter Jackson, dem die diesjährige Hommage gewidmet ist. Eine Chance, noch einmal blümerante Blutorgien wie Braindead zu sehen. Slapstick und Splatter gehören hier zusammen wie Teens und Kettensägen. Christian Buß

Heute, 20.30, Streits: Eröffnung mit „Scream“. Das Festival läuft bis Mi, 27. August im Streits, Metropolis und Fama