Auf Rache folgt Rache

Tödliche Vergeltung von Hisbollah, SLA und Israel  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Mehrere Salven Katjuscha-Raketen sind gestern morgen im Norden Israels eingeschlagen. Nach bisherigen Angaben wurden dabei drei Menschen verletzt. Ein Wohnhaus in der Grenzstadt Kirjat Schmoneh wurde voll getroffen. Die Bewohner waren im Urlaub.

In der libanesischen Hauptstadt Beirut bekannte sich die schiitische Hisbollah-Miliz zu dem Angriff. Sie erklärte, der Angriff sei als Vergeltung für die Beschießung der südlibanesischen Hafenstadt Sidon am Vortag erfolgt. Dabei waren sechs Menschen getötet und mindestens 36 verletzt worden. Noch am Montag hatte die Hisbollah als Vergeltung für die Beschießung Sidons die von der SLA kontrollierte Stadt Dschesin im Südlibanon beschossen. Dabei war ein 60jähriger Mann getötet worden.

Der Bürgermeister von Kirjat Schmoneh, Prosper Merimee, sagte gestern, weil der Angriff erwartet worden sei, hätten die meisten Einwohner der Stadt die Nacht in Schutzräumen verbracht. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, Israel werde alles tun, um die Angriffe zu beenden: „Keiner braucht einen solchen Krieg.“ Andererseits drohte er, Israel werde auf den Katjuscha-Beschuß Galiläas „angemessen antworten“. Die Formulierung bedeutet in der Regel israelische Luftangriffe auf vermutete Hisbollah-Stellungen in der libanesischen Bekaa-Ebene.

Die israelische Armee und die mit Israel verbündete Südlibanesische Armee (SLA) hatten am Montag jegliche Verantwortung für den Beschuß Sidons zurückgewiesen. Ein israelischer Armeesprecher sagte: „Israel hat Sidon nicht beschossen, ich wiederhole, nicht beschossen.“ Die SLA stünde allerdings nicht unter der Kontrolle der israelischen Armee.

Die SLA ließ erklären, der Angriff auf Sidon sei von einem einzelnen Kommandeur entschieden worden und nicht aus der von Israel besetzten Sicherheitszone erfolgt. Es habe sich um einen Racheakt für die Tötung zweier Kinder eines früheren SLA-Kommandeurs gehandelt, der vor vier Jahren selbst getötet worden war. Ein 11jähriges Mädchen und ihr 17jähriger Bruder waren am Montag von einer versteckten Straßenbombe, wie sie Hisbollah benutzt, in die Luft gesprengt worden.

Die jetzigen Kämpfe sind die schwersten, seit Israel und die Hisbollah im vergangenen April ein „Memorandum der Verständigung“ erzielten, mit der die 17tägige israelische Operation „Früchte des Zorns“ beendet wurde. In dem Grenzkrieg wurden mehr als 170 Libanesen getötet und mehrere Israelis verletzt. Bei der Bombardierung des UN-Postens in Kanaa durch die israelische Armee waren 96 Zivilisten ums Leben gekommen.

Laut Memorandum sind beiden Seiten Angriffe auf zivile Ziele verboten. Das nicht schriftlich vereinbarte Abkommen wird von einem Komitee überwacht, dem Israel, Libanon, Syrien, Frankreich und die USA angehören. Israel hat eingeräumt, daß der Beschuß Sidons ein schwerer Bruch dieser Vereinbarung sei. Sowohl Libanon als auch Israel haben Beschwerde bei dem Überwachungskomitee eingereicht.