Dem Geiste nach die Maastricht-Kriterien erfüllt

■ Internationale Experten attestieren Deutschland im OECD-Bericht eine relativ stabile Wirtschaftslage. Das Gesundheitswesen allerdings arbeite uneffizient

Bonn (taz) – Deutschland wird die Maastricht-Kriterien für die Teilnahme an der europäischen Währungsunion nicht buchstabengetreu, doch „dem Geiste nach“ erfüllen. Diese Ansicht vertraten gestern Experten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei der Vorlage ihres Konjunkturberichts für Deutschland.

Die OECD, in der 29 Industriestaaten zusammengeschlossen sind, erwartet für das laufende Jahr ein Staatsdefizit von 3,25 Prozent und bis 1998 einen Gesamtschuldenstand von 62 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Diese Zahlen liegen über den im Maastricht- Vertrag vereinbarten Obergrenzen, aber nach Einschätzung der OECD-Fachleute noch innerhalb des Toleranzbereichs. In den Berechnungen ist allerdings der Nachtragshaushalt nicht berücksichtigt worden. Sollten die Haushaltsziele verfehlt werden, empfehlen die Experten eine Anhebung der Verbrauchssteuern.

Insgesamt, so die OECD-Bilanz, sei für das kommende Jahr ein leichter Anstieg des Wirtschaftswachstums zu erwarten. Die Inflation sei „fest unter Kontrolle“. Die Arbeitslosenquote wird nach Einschätzung der Experten in diesem Jahr höher liegen als 1996, im Wahljahr 1998 jedoch unter die Elf-Prozent-Marke sinken.

Zur Besserung der wirtschaftlichen Lage empfiehlt der Bericht eine Steuerreform, die Senkung des Solidaritätszuschlages und weitere Kürzungen der öffentlichen Ausgaben. Sowohl die Renten- als auch die Gesundheitsreform gehen den Fachleuten in diesem Zusammenhang nicht weit genug. Im Bereich der Rente kritisieren sie, daß Anregungen – auch der OECD – zu einem Kapitaldeckungsverfahren überzugehen, abgelehnt worden seien. Als Mindestmaßnahme wird gefordert, die persönliche Wahlfreiheit für die Altersversorgung zu erweitern und die Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung der privaten Rentenversicherung durch Kapitaldeckung „eingehender zu prüfen“.

Dem Gesundheitswesen ist ein ausführlicher Sonderteil gewidmet. Unnötig viele Krankenhauseinweisungen und lange Verweildauer, teure Medikamente, zu viele Verschreibungen und andere Faktoren führten dazu, daß die Ausgaben für Gesundheit hoch und schneller gestiegen seien als in anderen OECD-Ländern. Der Gesundheitszustand der Deutschen entspreche dennoch nur dem OECD-Durchschnitt. Das deute darauf hin, daß „Potential für Effizienzverbesserungen“ vorhanden sei. Bettina Gaus