Kanther schrödert gegen den Werteverfall

■ Der Bundesinnenminister will mit einem scharfen 10-Punkte-Programm zur Inneren Sicherheit den „schleichenden Werteverfall“ und die SPD im Wahlkampf bekämpfen

Bonn/Berlin (taz) – Manfred Kanther will sich von Gerhard Schröder nicht abhängen lassen. Mitten in der parlamentarischen Sommerpause präsentierte der Bundesinnenminister gestern ein 10-Punkte- Programm zur Verbrechensbekämpfung, das unschwer als wahltaktische Reaktion auf die aufsehenerregenden Äußerungen des wahrscheinlichen SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder zu erkennen ist. Der Grundton des Papiers laut Kanther: „Die Zeit bequemen oder links ideologisch gefärbten Wegduckens vor der kriminellen Gefährdung der Gesellschaft muß gesamtgesellschaftlich vorbei sein.“

Mit einem bunten Strauß an Maßnahmen will der Innenminister die angebliche Gewaltzunahme zurückdrängen: mehr Polizei auf die Straße, konsequentere Anwendung geltender Gesetze und weniger Gewaltdarstellungen in den Medien. Gescholten wurde dabei vor allem die Justiz. Sie müsse schneller aburteilen, häufiger Untersuchungshaft anordnen, bei Heranwachsenden (18- bis 21jährigen) das mildere Jugendstrafrecht nur noch in Ausnahmefällen anwenden, das Beweisantragsrecht von Anwälten solle eingeschränkt werden. Auch das bereits modifizierte Ausländerrecht, das erleichterte Abschiebungen möglich macht, will Kanther noch weiter verschärfen. Die Bürger müßten den technischen Fortschritt „zur Sicherung von Hab und Gut“ nutzen und über kommunale Sicherheitsausschüsse in die Kriminalitätsvorbeugung einbezogen werden.

Gerhard Schröder hatte vor drei Wochen unter anderem die schnelle Abschiebung straffällig gewordener Ausländer und die lebenslange Verwahrung von Sexualstraftätern verlangt. Der innen- und rechtspolitische Sprecher der Union, Rupert Scholz, reagierte Anfang August mit einem eigenen Katalog zur Verbrechensbekämpfung. Scholz fordert darin ein hartes Vorgehen: Bei Sachbeschädigungen sollte der Täter den Schaden, soweit möglich, sofort wiedergutmachen, Ladendiebe den doppelten Preis zurückbezahlen, Ausländer schon bei einer Verurteilung ohne Bewährung von einem Jahr (bislang auf drei Jahre begrenzt, mit Ausnahme von Gewalttätigkeit bei Demonstrationen) ausgewiesen werden.

Kanthers und Scholz' Papiere sind wohl erst der Anfang: Innerhalb der Union wird daran gearbeitet, Schröder nach der Sommerpause mit dem Thema Innere Sicherheit vor sich herzujagen. Dann, so heißt es, könne Schröder beweisen, wie ernst es ihm mit seinen Interviewäußerungen sei. Severin Weiland