Wo keine Stunde schlägt

■ Die Turmuhr an der Martinikirche zeigt immer noch keine Zeit an / Streit um die Technik des Blattgoldauflegens an den Zifferblättern der vier ehrwürdigen Uhren

Der liebe Herrgott hat wohl am letzten Donnerstag ein kleines Nickerchen gemacht, als die Zifferblätter der Uhren an der Martinikirche vergangene Woche wieder aufgehängt werden sollten: Seine Schäfchen müssen immer noch auf die Zeitmesser verzichten. Hans-Siegfried Drefahl, der zuständige Bauherr der Gemeinde, hatte die Beendigung der Reparaturarbeiten in Gottes Hand gelegt und hoffnungsfroh schon am Samstag die Uhren an ihrem Platz erwartet (taz vom 15.8). Der Martiniturm bietet aber immer noch ein trauriges Bild: An zwei Seiten hängen einsame Zifferblätter, an den anderen prangt nichts als der nackte Turmstein, kein Zeiger, der sich dreht.

Schuld daran ist das schnöde Gold. Schon am Freitag vergangener Woche befürchtete der Denkmalpfleger Dr. Peter Hahn, daß das blanke Kupferblech der Zifferblätter mit dem Kleber für das Blattgold chemisch reagieren könnte und die Auflage recht bald „Pocken bekäme“. Das sähe dann nicht nur unschön aus, sondern das Gold würde sich schnell ablösen, erklärte Dr. Hahn gestern. Normalerweise sei es in Bremer Gefilden nicht üblich, auf das blanke Kupfer einen öligen Blattgoldkleber aufzutragen. Als er bemerkte, daß das doch geschehen war, habe er der Gemeinde zu einem Baustopp geraten. Außerdem entdeckte der Fachmann an einigen Ziffern „optische Anstöße“.

Die Ränder seien nicht klar abgegrenzt und ihr Abstand zum äußeren Rand des Zifferblatts nicht gleichmäßig, bemerkte Hans-Siegfried Drefahl am Mittwoch. Schon das Aufbringen der Goldauflage entpuppte sich bei den Reparaturarbeiten als schwierig: Am äußeren Rund der Scheiben ist der Zifferkranz uneben. Normalerweise werden zu vergoldende Pretiosen glatt- geschliffen, dann können Untergrund, Kleber und Blattgold auf ewig zueinander finden. Das Schleifen sei hier aber nicht möglich, meinte Drefahl, da der über hundert Jahre alte Kupferkranz sowieso schon sehr flach sei. „Zudem ist der Kleber wohl teilweise nicht richtig ausgehärtet gewesen“, vermutete er. Nun wurden die schadhaften Ziffern von den beiden auf dem Boden verbliebenen Kupferscheiben abgekratzt und außen mit Kreppband umrandet. Sie warten jetzt auf neuen güldenen Glanz.

Am Dienstag hatten sich Bauherr, Denkmalpfleger und eine Goldfachfrau zu einer „Krisensitzung“im Gotteshaus getroffen. Dort hatten sie beratschlagt, wie die goldenen Ziffern möglichst dauerhaften könnten. „Zu einer Entscheidung gelangen wir wahrscheinlich Mitte der nächsten Woche“, sagte Dr. Hahn. „Wir müssen erst alle Informationen auswerten.“

Der Denkmalschützer bedauerte ein wenig, daß er erst jetzt eingeschaltet wurde. Er befasse sich gerade seit Montag dieser Woche als Fachberater mit der Vergoldung der Martiniuhren, erklärte er. Auch die Auftragsvergabe hatte die Kirchengemeinde ohne seine Mitwirkung entschieden.

Die Blattgoldheftchen stammen aus dem fernen Bayern, geliefert von einer Firma, deren Spezialität die Verschönerung von Gottes Wohnstatt ist: vorwiegend Wetterhähne und Kirchturmkugeln bekommen von ihnen eine strahlende Hülle verpaßt.

Verarbeitet wurde der Zifferschmuck von der auf Kirchturmrenovierung spezialisierten Firma Franz-Josef Skrzipek aus Hannover. Es ist noch nicht geklärt, wen die Haftung für den entstandenen Schaden treffen wird. Vertragspartner der Gemeinde ist eigentlich nur die Kirchturmrenovierungsfirma. Gerüchte wollen wissen, daß die Kirche aus Sparzwang die Goldauflage zu dünn aufgetragen haben wollte. Andere Stimmen behaupten, die Verarbeitungsanweisung der süddeutschen Firma sei fachlich nicht korrekt gewesen.

Die Kletterspezialisten von der Firma Skrzipek werden die schon montierten Zifferblätter in der lufigen Höhe des Turms nachbessern müssen, meinte der Denkmalschützer Hahn: Was oben ist, bleibt oben. kk