■ Nachschlag: Die Company Rosas mit „Drei Solos für Vincent“ im Hebbel-Theater
Tanzsolos können sehr einsam sein. Doch bei Vincent Dunoyer, Tänzer der Brüsseler Company Rosas, ist das anders: Allein auf der Bühne taucht er mit jeder Bewegung in Geschichten ein. Wie Worte Verschiebungen im Mund jedes Sprechers erfahren, so auch der choreographische Text: Das verbindet die drei überraschenden Solos, die Dunoyer mit Anne Teresa De Keersmaeker (Rosas), Elisabeth LeCompte (Wooster Group) und Steve Paxton erarbeitet hat.
Daß Bewegungen fortlaufend erfahrene Muster interpretieren, wird in „Dances with TV and Mic“ von LeCompte auf eine komische Spitze getrieben. Dunoyer tanzt die über Monitore eingespielte Flucht aus einem B-Picture nach, springt mit den Schnitten zwischen breitbeinigem Verfolger und der hochhackig durchs Bild wackelnden und robbenden Beute hin und her. X-beinig auf der Stelle stolpernd geht er in die Knie, wenn das Opfer von der Kamera weglaufend kleiner wird. Mit einem Mikrogalgen erzeugt er eine akustische Spur, die sich wie ein falsch synchronisierter Doppelgänger hinter ihm herschleppt. Was so entsteht, hat nicht nur den Witz einer Parodie, sondern öffnet zwischen Original und Kopie ein weites Feld von sich verlierenden und wieder einholenden Bildern.
Wendig, vielgestaltig und mit einer schillernden Attraktivität begibt sich Dunoyer in De Keersmaekers Solo. Alles wird als Skizze belassen; zögernd, testend, hüpfend bricht sie, pardon, bricht er in kurze Selbstentwürfe auf. Sich erfinden, zurücknehmen, für sich behalten, abbrechen, neu ansetzen: Fast könnte man meinen, dem Denken selbst bei der Arbeit zuzuschauen. Mitten in dieser Zerstreuung wächst die Verbindung mit dem Publikum. Schließlich hat Dunoyer alle mit einem Fingerschnippen im Griff. Das ist das Beneidenswerte an diesen Solos: Dunoyer gewinnt die Zuschauer für sich, weil er auf nichts besteht. Wenn man so sein könnte – wach, reaktionsfähig, innen und außen abgleichend –, was könnte es dann noch für Probleme geben. Katrin Bettina Müller
„Drei Solos für Vincent“, bis 21.8., 20.30 Uhr, Hebbel-Theater
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