„Ein Seitensprung ist mir 30.000 Mark wert“

■ Hajime T. recherchiert wie ein Journalist, verkauft die Geschichten aber an Konzerne

Tokio (taz) – Japans Erpresserbanden treten völlig ohne Skrupel auch in der Öffentlichkeit auf. Sie scheuen sich nicht, ihre dubiosen Dienste in öffentlichen Adreßbüchern anzupreisen oder gar Interviews zu geben. So auch Hajime T., der sich als Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Rodan – Kritischer Diskurs“ ausweist. Er recherchiert wie jeder andere Journalist. Doch statt Honorare für die Veröffentlichung seiner Geschichten zu kassieren, läßt er sich von den japanischen Unternehmen für sein Schweigen über brisante Entdeckungen auszahlen.

taz: Hajime, Sie geben an, Journalist und Redakteur zu sein. Recherchieren Sie gerade eine spannende Story?

Hajime T.: Eher eine Routinesache. Ich beobachte mit einem Kollegen von der Redaktion Rodan die Seitensprünge eines Vizedirektors in einem mittleren japanischen Dienstleistungsunternehmen. Sobald wir genügend Material zusammen haben, werden wir uns bei der Geschäftsleitung des Unternehmens mal melden.

Was meinen Sie mit „melden“?

Na ja. Wir rufen erst mal an und stellen unser Magazin Rodan vor. Wir erklären, daß wir Hintergrundgeschichten zu einzelnen Unternehmen veröffentlichen und da eine Story laufen hätten. Meistens werden wir dann von den Firmen eingeladen, um über die Hintergründe der Geschichte genauer zu berichten.

Mit wem treffen Sie sich dann in der Firma?

In den Firmen, die ich in den vergangenen zwanzig Jahren besucht habe, bin ich zuerst mit einem bestimmten Ansprechpartner aus der Verwaltungsabteilung zusammengetroffen. Oft sind es ehemalige Polizisten, die im Umgang mit Mitgliedern der Yakuza [japanische Mafia, die Red.] Erfahrung haben. Je brisanter die Story ist, die wir recherchiert haben, um so höher positionierte Direktoren wollen uns sehen. Ich habe auch schon mit Verwaltungsratsvorsitzenden stundenlange Diskussionen über deren Geschäfte geführt.

Veröffentlichen Sie danach die Geschichte?

Genau das will ja eigentlich niemand wirklich. Wir erzählen die Geschichte erst mal den Eingeweihten in dem Unternehmen. Dann reden wir über den Preis. Willigt die Geschäftsführung ein, hat sie verschiedene „legale“ Möglichkeiten, uns zu bezahlen.

Wieviel bezahlen denn die Firmen durchschnittlich?

Die Story mit dem Seitensprung des Vizedirektors ist mir schon mal 30.000 Mark wert. Schließlich hat das Unternehmen mehr als 500 Angestellte. Finde ich dann noch eine Unregelmäßigkeit in der Bilanz, dann kann ich den Preis gleich mal verdoppeln.

Hajime, haben Sie keine Angst als Firmenerpresser verhaftet zu werden?

Ich bin nun schon 25 Jahre im Geschäft, ohne einmal verhaftet worden zu sein. Wir sind bekannt, es gibt sogar ein Branchenverzeichnis, in dem 670 meiner Kollegen öffentlich ihre Dienste anbieten. Wir sind eigentlich so etwas wie Privatdetektive, die Unregelmäßigkeiten in Firmen ausgraben und damit ein Auskommen finden.

Gerade sind drei Geschäftsführungen der wichtigsten Konzerne zurückgetreten, weil ihre illegalen Geschäfte mit dem Kollegen Koike aufgeflogen sind. Sind wegen Ihnen auch schon Direktoren geschaßt worden?

Koike gilt in unserem Gewerbe als Spezialist. Wir nannten ihn schon vor 20 Jahren den „Analytiker“, weil er eine Geschäftsbilanz wie ein Buchhalter lesen kann und damit natürlich auch große Konzerne mit handfesten Argumenten unter Druck setzen kann. Ich bin viel bescheidener, auch im Preis. Wegen mir hat noch kein Direktor den Hut nehmen müssen. Interview: André Kunz