Ein Warnschuß, der nach hinten losging

■ Das verstärkte Eingreifen der internationalen Schutztruppe in Bosnien erweckt den Eindruck, als wollten die USA das Dayton-Abkommen nun wirklich umsetzen

Genf (taz) – Gibt es endlich eine gemeinsame Strategie der USA und ihrer Verbündeten zur Durchsetzung des Dayton-Abkommens in Bosnien? Die hektische Reisediplomatie der letzten Wochen sowie Spekulationen über eine Spezialtruppe zur Festnahme von mutmaßlichen Kriegsverbrechern haben zumindest einen solchen Eindruck erweckt. So ergriff am Dienstag der „Hohe Repräsentant“ der internationalen Gemeinschaft in Sarajevo, Carlos Westendorp, in bislang nicht gekannter Deutlichkeit verbal Partei für die Präsidentin der Serbischen Teilrepublik, Biljana Plavšić, im Konflikt gegen die Hardliner um ihren Vorgänger Radovan Karadžić. Tags zuvor hatten 300 Soldaten der Nato-geführten SFOR im Polizeihauptquartier von Banja Luka umfangreiches Beweismaterial für die Telefonüberwachung Plavšić' durch ihre Gegner sichergestellt. Seit letzter Woche kontrolliert die SFOR die 2.000 Mann starken paramilitärischen Polizeikräfte der bosnischen Serben und ihre Waffen; und seit Anfang August praktiziert die SFOR zumindest in einer kleinen Region Bosniens Schutzbegleitung für Flüchtlinge, die in ethnische Minderheitsgebiete zurückkehren.

Schließlich erweckte vor allem die Festnahme eines mutmaßliches Kriegsverbrechers durch eine britische Spezialeinheit und amerikanische SFOR-Soldaten Anfang Juli in Prijedor den Eindruck größerer Entschiedenheit Washingtons und seiner Verbündeten.

Doch zunächst einmal belegen all diese Ereignisse nur die Fragwürdigkeit früherer Erklärungen der Garantiemächte des Dayton- Vertrages (USA, Großbritannien, Frankreich, Rußland und Deutschland). Stets war darin festgestellt worden, daß die nun durchgeführten Maßnahmen außerhalb des Mandats der SFOR lägen.

Und auch die vom US-Sonderbeauftragten für Bosnien, Richard Holbrooke, Anfang August erzielte Einigung über eine Verteilung von 33 Botschafterposten unter Serben, Kroaten und Muslimen könnte sich als Pyrrhussieg erweisen. Die bisherigen Auslandsbotschafter Bosniens – überwiegend Muslime sowie einige Serben und Kroaten – waren sämtlich dem Erhalt des bosnischen Einheitsstaats verpflichtet. Künftig werden mindestens die Hälfte der Posten von ausgesprochenen serbischen oder kroatischen Nationalisten und Befürwortern der Teilung Bosniens geleitet.

Die Festnahme eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers Anfang Juli in Prijedor war gedacht als „Warnschuß“ für Karadžić und andere als Kriegsverbrecher angeklagte Bosnier. Sie sollten sich endlich völlig aus der Politik und dem öffentlichen Leben zurückziehen. Eine entsprechende Zusage von Karadžić hatte Holbrooke bereits im Frühjahr 1996 erhalten. Doch der Warnschuß verfehlte seine Wirkung, ja, ging sogar nach hinten los. Karadžić zieht hinter den Kulissen weiterhin die Fäden und verstärkte seinen militärischen Schutz erheblich. Das macht seine Festnahme durch die SFOR oder eine Spezialtruppe zwar nicht unmöglich, erhöht aber das Risiko für diese Truppen.

Daß die Festnahme Karaždić' tatsächlich kurz bevorsteht, wie diverse Meldungen der letzten Tage suggerieren, ist eher zu bezweifeln. Denn noch ist eine solche Maßnahme nicht nur zwischen den fünf Dayton-Garantiemächten, sondern auch innerhalb der Clinton- Administration umstritten.

Befürworter in Washington plädieren dafür, durch eine Festnahme des Ex-Präsidenten den Machtkampf in der Republika Srpska noch rechtzeitig vor den für Anfang Oktober angesetzten Parlamentswahlen zugunsten von Biljana Plavšić zu entscheiden. Damit könnten die Voraussetzungen für eine verbesserte Durchsetzung des Dayton-Abkommens in den verbleibenden elf Monaten bis zum geplanten Abzug der SFOR geschaffen werden.

Noch setzt die Clinton-Administration jedoch auf eine Lösung, die die erwarteten Proteste der Karadžić-Anhänger so weit wie möglich verhindert. Außerdem soll ein Auftritt des mutmaßlichen Kriegsverbrechers vor dem UN-Tribunal in Den Haag vermieden werden. Denn dort könnte Karadžić seinen Mentor Slobodan Milošević so schwer belasten, daß eine Anklageerhebung gegen diesen nicht länger zu vermeiden ist. Der serbische Präsident wiederum könnte vor dem Tribunal Aussagen machen, die für die Regierungen der Dayton-Garantiemächte höchst peinlich wären.

Anfang Juni machte US-Außenministerin Madeleine Albright deshalb Präsidentin Plavšić bei einem Treffen in Banja Luka den Vorschlag, Karadžić solle in ein ungenanntes Drittland verschwinden und Plavšić sodann gegenüber den Medien erklären, der neue Aufenthaltsort ihres Vorgängers sei ihr nicht bekannt. Als Plavšić diesen Vorgang letzte Woche gegenüber der Financial Times enthüllte, mußte das State Department zwar dementieren. Doch aus der Umgebung Albrights wurde der Vorgang inzwischen gegenüber der taz bestätigt. Damit ist diese Option zwar erschwert, aber nicht unmöglich geworden.

Funktioniert hat sie ja bereits im Fall des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić. Dieser entschwand nach der Festnahmeaktion von Prijedor nicht nur aus Bosnien, sondern auch aus den Schlagzeilen. Andreas Zumach