Hoffnung auf Lernfähigkeit

■ Späte Gerechtigkeit für NS-Opfer in Osteuropa?

Friedrich Bohl, Kanzleramtsminister, gab sich nach dem Treffen mit den Vertretern der Jewish Claims Conference optimistisch: Trotz der „Komplexität der Materie“ seien „erste Lösungen angedacht worden“. Zwar seien monatliche Entschädigungszahlungen an die bislang leer ausgegangenen NS- Opfer in Osteuropa nicht möglich, aber denkbar sei, den Interessen dieser Opfer „näherzukommen“.

Etwas „andenken“ ist leicht, etwas zu Ende denken ist schwer, braucht vor allem Zeit. Schließlich sind die meisten der potentiellen Rentenempfänger in Osteuropa erst in den hohen 70ern, und gut Ding will Weile haben. Wie will Bohl den ehemaligen KZ-Insassen, den ins Ghetto Gepferchten, den zur Zwangsarbeit Abkommandierten „näherkommen“? Welche noch restriktivere, noch mehr auf „Notfälle“ beschränkte Regelung will er ihnen zumuten? Ohnehin haben schon die jetzigen Härtefallregelungen nach dem „Artikel 2“-Abkommen von 1992 nichts mehr gemein mit dem Gedanken der Entschädigung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern gehorchen der Logik der Sozialfürsorge. Mit aller Willkür, mit allen Demütigungen, die dieser Logik anhaften.

In Wirklichkeit ist die in Frage stehende Materie keineswegs „komplex“. Es geht einfach darum, ob die Bundesregierung dem Diktat der leeren Kassen zum Trotz einen Etatposten einplant, der die letzten Jahre von einigen zehntausend Nazi-Opfern etwas erleichtert. Unsere Regierung verschanzt sich hinter der angeblich ablehnenden Bevölkerungsmehrheit, hinter dem Unverständnis der „jungen Generation“. Ob diese Macht-endlich-Schluß- Haltung wirklich von der Mehrheit der Deutschen geteilt wird, ist überhaupt nicht erwiesen. Und außerdem: Haben wir nicht oft genug gehört, die Politik solle überzeugen und gestalten, statt der Demoskopie hinterherzutrotten?

Wo der Glaube an die moralische Einsicht der Politiker angekränkelt ist, bleibt noch die Hoffnung auf die Lernfähigkeit kraft Drucks von außen, speziell aus Übersee. Schließlich waren auch die früheren Bemühungen zur „Wiedergutmachung“ nicht seelischer Erschütterung über das begangene Unrecht entsprungen, sondern dem Kalkül, das Eintrittsbillet in die westliche Welt zu lösen. Dieses Billet haben wir billig erworben, zu billig. Christian Semler