An den Straßenbaum gekinkelt

Hamburg, wie es wirbt und wählt: Ab heute dürfen die Parteien hemmungslos die Stadt mit Plakaten verzieren  ■ Von Judith Weber

Ein Ole zischt vorüber. Am nächsten Baum lehnt Frank-Michael Wiegand, dann Jürgen Hunke in der Totalen: Radfahren im Wahlkampf-Hamburg. Papierkandidaten DIN A 0 sausen vorbei. Kabarett für Krista, Arbeit ist Scheiße, Ole, Henning, noch ein Wiegand. Und das war erst der Anfang.

Heute um 18 Uhr beginnt die sogenannte heiße Phase des Bürgerschaftswahlkampfes. In den kommenden vier Wochen bis zum 21. September darf plakatiert werden, auch wenn die Schilder keine Veranstaltung ankündigen. PolitikerInnen wird „die Werbung im größtmöglichen Umfang gestattet“, erklärt das Senatsamt für Bezirksangelegenheiten.

Die Lizenz zum Kleben wird vor allem von kleinen Parteien genutzt. „Überall, wo Autos langfahren,“läßt die Deutsche Partei 1000 Schilder stehen. Ihre schlichte Botschaft: „Die DP ist wieder da“. Wieder da sind auch die Tierschutz-Partei und die Grauen Panther, der Bund Freier Bürger und die Republikaner. Auch die PDS mischt mit, außer in Nord und Eimsbüttel, dort mischt die DKP. Auf ausgewählte Stadtteile beschränkt sich auch die Anarchistische Pogo-Partei (APPD). Nach Altona und dem Schanzenviertel plädiert sie ab heute auch in Eppendorf und Steilshoop für „Saufen, Saufen, jeden Tag nur Saufen“.

Doch irgendwann sind auch die Bezirke vollgeklebt. Insgesamt 25.000 Schilder dürften ab heute abend in Hamburg herumhängen oder -stehen. „Man hat mittlerweile Probleme, noch freie Plätze zu finden“, klagen kleine Parteien. Denn wer wo wann werben darf, entscheiden die Bezirke. Und ohne Antrag kein Plakat.

Wo Schilder erlaubt sind, beschreibt ein „Merkblatt zur allgemeinen Wahlwerbung“. An Bäumen beispielsweise „mit einem Stammdurchmesser von unter ca. 30 Zentimetern dürfen Werbeträger mit ungeschütztem kantigen Metallrahmen nicht angebracht werden“. Höchstens einen Meter breit dürfen die Poster sein und anderthalb Meter hoch.

SPD, CDU und GAL kümmern sich längst nicht mehr darum. Sie stellen keinen neuen Plakate auf. „Das könnten wir uns gar nicht leisten“, behaupten die Grünen. 2000 Schilder müßten reichen. „Im Moment lieber nicht“, zögert die CDU, und die SPD begnügt sich mit den vorhandenen 4500 Postern. „1993 haben wir mehr gemacht, beispielsweise am Gorch-Fock-Wall“, sagt Wahlkampfkoordinator Lutz Kretschmer: „Aber die Bürger fragen sich, was der Schilderwald soll.“

Viel hilft viel, meint dagegen die FDP. 2000 Wahlposter hat sie bereits, 1000 kommen ab heute dazu, verkündete gestern Spitzenkandidat Frank-Michael Wiegand. Er setzt im Wahlkampf-Endspurt auf Stimmen von EU-BürgerInnen und ausgesiedelten Wolga-Deutschen – mit Kurzprogrammen auf italienisch, spanisch, englisch und russisch. Außerdem hofft er auf die Wählerwirksamkeit Bonner „Sympathieträger“: Generalsekretär Guido Westerwelle und Außenminister Klaus Kinkel bekommen von heute an eigene Straßenbäume.