Rennpferd feiert Richtfest

■ Richtfest beim zweiten Bauabschnitt in "Neu-Karow": 2.355 Wohnungen sind im Rohbau fertiggestellt. 6.000 Menschen leben bereits in der neuen Vorstadtsiedlung

Das größte, hauptsächlich privat finanzierte Wohnungsbauprojekt der Bundesrepublik, „Neu-Karow“ (früher Karow-Nord), geht seiner Vollendung entgegen. Gestern wurden für den zweiten und letzten Bauabschnitt die Richtkränze aufgezogen. Damit sind 2.355 neue Wohnungen auf dem rund 100 Hektar großen Areal zwischen Karow und Buch im Rohbau fertiggestellt. Die Wohnungen sollen zum Teil noch in diesem Jahr, spätestens aber Mitte 1998 bezogen werden können.

Das „Rennpferd im Stall der Wohnungsbaugebiete“, wie Bausenator Jürgen Klemann (CDU) das Projekt titulierte, wird ergänzt durch zwei Schulbauten, sieben Kindertagesstätten, Läden, Sport- und Freizeitanlagen, die sich zwischen die rechteckige Anlage aus kleinen zweistöckigen Doppelhäusern, dreigeschossigen Blöcken und Zeilenbauten klemmen. Im Zentrum der von dem amerikanischen Architekten Moore entworfenen 2,5 Milliarden Mark teuren Anlage sollen ein Platz und ein Park entstehen.

Es muß wohl an der gestrigen Hitze gelegen haben, daß der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) die neumodische Vorortsiedlung „zu einem Aushängeschild der deutschen Hauptstadt“ stilisierte. „Neu-Karow“, so Diepgen, zeige allen „Neuberlinern“, daß es in der Stadt preiswerten Wohnraum gebe. An der Stadtgrenze gelegen, bilde der Vorort eines der vielen Subzentren, „die Berlin so lebenswert“ machten. Die Architektur der „strikten Blockrandbebauung“ garantiere städtische Wohnqualität. Die Umgebung solle die Menschen in der Stadt halten und die Abwanderung ins Umland stoppen.

Tatsache allerdings ist, daß die Wohnungen recht teuer sein werden. Von den insgesamt 5.100 Wohnungen für 15.000 Personen, erklärte Bauherr Klaus Groth (Groth + Graalfs), würden rund 2.400 Wohnungen im zweiten Förderweg errichtet. Hinzu kämen 600 Reihenhäuser und 200 Eigentumswohnungen, die als Eigentumsmaßnahmen geplant seien. Von einer „städtischen“ Wohnqualität sowie der „strikten Blockrandbebauung“ ist in „Neu-Karow“ ebenfalls nichts zu sehen. Die regelmäßig aufgereihten und frei stehenden Gebäude erinnern an die eher trostlosen postmodernen Vorstadtsiedlungen der siebziger und achtziger Jahre – aus Doppelhaushälften, bierdeckelgroßem Gärtchen dahinter und Autostellplätzen vor der Haustür.

Derzeit leben bereits über 6.600 Menschen in der 1994 begonnenen Siedlung am nordöstlichen Stadtrand. Probleme macht dem Bauherrn Groth + Graalfs die Vermietung des Projekts trotzdem, da für die im Rohbau befindlichen Bauten größtenteils noch keine Mieter gefunden werden konnten. Bausenator Klemann sagte dazu, daß dies heute der „Normalität“ entspreche. Die „kritisch gewordenen Mieter“ ziehe es nicht mehr, wie noch vor Jahren, „in eine Baustelle“. Rolf Lautenschläger