Im Schatten des Körpers des Athleten

Wer hat Angst vor Leni Riefenstahl? Anmerkungen zur Inszenierung eines Skandals  ■ Von Brigitte Werneburg

Lieber gratulieren wir ihr zum Geburtstag, als ihre oder ihres Galeristen Geschäfte zu besorgen. Es ist ihr Ruf als herausragende Propagandistin erst der Partei und dann des diktatorischen Regimes im Glanz der Olympiade 1936, dem „Fest der Völker“ und dem „Fest der Schönheit“, auf dem das kommerzielle Kalkül eines Hamburger Galeristen basiert. Bei Leni Riefenstahl, der berühmt-berüchtigten Repräsentantin des Dritten Reiches, darf man mit Protest rechnen, und Protest rechnet sich. Er bringt Aufmerksamkeit, ein knappes und teures Gut in unserer Zeit. So billig, hat sich der geschäftstüchtige Mann zu Recht gedacht, wird er die gesamten deutschen Medien nie mehr am Wickel haben.

Nein, es geht nicht um Ideologie oder um die Schönheit der Fotokunst der Leni Riefenstahl; dazu sind die fünfzig Fotos zu lieblos zwischen Glas gepreßt, zu schlampig auf Sperrholz aufgezogen. Dagegen steht die schäbige, kommentarlose Inszenierung der Verkaufsschau. Sie ist kein Skandal. Sie rehabilitiert Riefenstahl nicht. Daß moralische Güte ein Kriterium der Warenzirkulation ist, wäre neu. Die Angestellten der Rechtsanwaltskanzlei im Stockwerk über der Galerie bringen die Sache mit ihrem Transparent auf den Punkt: „1936 die Propaganda – 1997 das Geschäft.“

Mit dem Geschäft hat es auch zu tun, daß die heute vor 95 Jahren in Berlin geborene Bertha Helene Amalie Riefenstahl nur als Hitlers Filmemacherin zu dem werden konnte, was sie sich zum Ziel gesetzt hatte: eine Regisseurin, deren Filme in der Geschichte dieses Mediums des 20. Jahrhunderts Zeichen setzen sollten. Mit dem Auftrag für die filmische Olympiadokumentation war sie die erste, aber auch schon die letzte Frau in diesem Jahrhundert, der der Filmapparat in seiner zum damaligen Zeitpunkt finanziell großzügigsten und technisch avanciertesten Form zur Verfügung gestellt wurde.

Daß sie mit dem Endprodukt nicht hinter die ihr gebotenen Mittel zurückfallen, sondern vielmehr das Maximum an Effekten herausholen und damit die erste moderne, atmosphärisch dichte Sportdokumentation dieses Jahrhunderts abliefern würde, schienen nicht nur den Nazis, sondern auch dem Auftraggeber, dem Internationalen Olympischen Komitee in Lausanne, ihre zuvor produzierten Reichsparteitagsfilme „Sieg des Glaubens“ und „Triumph des Willens“ zu garantieren.

Daß einer Frau nur in einer Diktatur jemals solche Mittel zuhanden waren, sollte nicht nur uns Deutsche nachdenklich stimmen, sondern auch die (feministischen) AmerikanerInnen im Land der Filmindustriemacht Nummer eins, Hollywood.

Ob die Riefenstahl mit ihrer singulären Karriere ein „Vorbild für weibliche Macht in der Filmproduktion“ abgeben könnte, wie die Pressemitteilung des Filmmuseums Potsdam eine Position der feministischen film studies aufnimmt, ist mehr als fraglich.

Natürlich will das Filmmuseum Potsdam, das heute einen Dokumentarfilm über sie zeigt, Leni Riefenstahl nicht als tatsächliches Vorbild würdigen. Für ihren Ehrgeiz war sie bekanntlich zu allen Schandtaten bereit. Es ist gerichtlich bestätigt, daß sie 1940 sechzig „Zigeuner“ aus dem Sammellager Maxglan bei Salzburg persönlich für ihren Spielfilm „Tiefland“ als Komparsen zwangsverpflichtete, ohne sie zu entlohnen. Nach den Dreharbeiten kehrten die Zigeuner in das Lager zurück und wurden schließlich nach Auschwitz deportiert.

Daß sie sich einen Dreck um die Umstände und die Menschen in diesen Umständen scherte, unter denen sie ihre Filme auf den Weg brachte, führt dazu, daß nun einige Leute sie auch noch für den Untergang der Nuba verantwortlich machen möchten. Ihre Bilder hätten die muslimischen Machthaber im Sudan erst auf diesen Stamm aufmerksam gemacht.

Nein, Leni Riefenstahl trägt nicht an allem Leid dieser Welt die Schuld. Nur weil sie dort, in Deutschland und einfach „überall die Schönheit gesucht und gefunden“ hat, wie sich die Süddeutsche Zeitung für sie in die Bresche schlägt.

Um ihre Borniertheit aufzuzeigen, reicht die Bemerkung, daß sie den Druck der Islamisierung, der schon Anfang der siebziger Jahre auf den Nuba lastete und zu deren sozialem Abstieg führte, rundweg ignorierte. Diese Fotos, die nun in der Galerie im Hamburger Stadtteil St. Georg hängen, hat damals der Stern publiziert, der Art-Directors-Club Deutschland zeichnete sie 1975 als beste fotografische Arbeit der Jahres aus. Hamburg scheint schon früher ein gutes Pflaster für Leni Riefenstahl gewesen zu sein.

Soll man die Frage nach dem Faszinosum der Riefenstahl stellen, der von Anfang an erfolgreichen Tänzerin, der packeiserprobten, wagemutigen Schauspielerin, der Spielfilmregisseurin, Dokumentaristin und schließlich Tiefseetaucherin? Die Frage, die sie selbst in der Frage nicht nach der Politik, sondern nach der Schönheit beantwortet sieht? Sie interessiere, so antwortete sie in einer Talkshow 1976, „alles Optische, besonders in der irrealen Welt, in der Märchenwelt, im Phantastischen, im Schönen“. Da scheint es nur konsequent, daß der athletische Körper ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

Denn der athletische Körper ist ein sprichwörtlich phantastischer Körper. Ein imaginärer, ungreifbarer Körper, wie die Gender- Theoretikerin Judith Butler sagt, ein Körper, der nur als bewegungslose Körperskulptur zur Darstellung kommt. Im Film wird er in Zeitlupe stillgestellt: Das typische Bild zeigt den in einem grenzenlosen Himmel gleichsam festgefrorenen Turmspringer. „Der Moment, in dem der Körper des Athleten am meisten idealisiert wird, ist der Moment, in dem sein Athletentum restlos aufgehoben ist“, schreibt Butler. Dieser Moment zeigt, wenngleich das wirkungsvollste, so auch das trivialste Bild des Athleten.

Daß Leni Riefenstahl diese Ästhetik gut- oder besser als vermeintlich genuin faschistisch schlechtgeschrieben wird, zeigt nur, daß es mit ihrer künstlerisch- innovativen Kraft dann doch nicht so weit her gewesen ist.

Daß der moderne Sportler seinen Körper nicht im Hinblick auf ein quasi naturwüchsiges Schönheitsideal, sondern im Hinblick auf funktionale Tüchtigkeit formt, entging ihr in der ideenleitenden Eingangssequenz des Olympiafilms. Daß das Publikum Schaden nehmen, also verführt werden könnte, von ihren schon damals altmodischen Ideen von „Anmut“ (Gymnastin) und „Kraft“ (Diskuswerfer), glaubt beim besten Willen niemand. Wer sich heute für Riefenstahls Fotografien interessiert, tut das nur, weil sie Nazi-Devotionalien sind.