■ Höge auf Rügen
: „De oole Hund ist dot!“

Helmut Höge, anarchistischer Journalist des Alltags und beliebter taz-Autor, durchstreift im Sommer unsere schöne Republik und sucht auf seiner Nord-Süd- West-Ost-Tour Dokumente deutscher Lebenskunst.

Schon auf dem Weg nach Ralswiek gibt es zig „Störtebeker“- und „Störti“-Lokale. Im Fischerdorf selbst finden dann allabendlich die 1959 erstmalig inszenierten „Rügenfestspiele“ statt – damals noch mit dem Seeräuber Störtebeker als „Seher der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“. Deren heutiger Intendant, Peter Hick, erklärt: „Störtebeker war die Lichtgestalt, Goedeke der Haudegen und sein Magister Wigbold Kurt Hager.“

Jetzt ist alles ganz anders. Nicht nur werden busweise antikommunistische Westdeutsche angekarrt, auch die Camper des Bundeswehrzeltplatzes in Prora kommen immer wieder gerne zur Vorstellung. Als die dänische Königin zu Goedeke sagt: „Ihr seid ein genialer Kerl, kommt heute nacht in mein Zelt“, raunen die Zuschauer.

Auch der blonde Störtebekerdarsteller Norbert Braun kommt gut an. Als nordischer Typ von nebenan hat er bereits eine gewisse Vorbildfunktion für die Postkartenserie „Männliche Modelle auf Molen“ eingenommen. Ein von ihm ausgehender „Naturfaser-Seeräuber-Look“ verdrängt mehr und mehr die bunten Fit-for-Fun-Fummel. Im Programmheft heißt es: „Er hat im Tennisclub Bergen eine passende Unterkunft gefunden. Für die Fahrt zu den Vorstellungen steigt er in seinen 143 PS starken Nissan Sunny GTI und sattelt dann auf 1 PS um – auf seinen geliebten Friesenhengst Eysbrand ...“

Der Zufall will es, daß mit Abschluß der Schickeriaisierung Rügens und der Vertreibung der Leistungsschwachen aus den Rüganer Pensionsbetten auch die Störtebekerfestspiele zu einem Ende kommen: Der ehrliche Seeräuber wird von den hinterfotzigen Hamburgern geköpft!

Im nächsten Jahr, tröstet Peter Hick, wird es einen „2. Störtebeker-Zyklus“ geben, „der bis ins Jahr 2001 geht“. Noch etwas ist auf Rügen zu einem Ende gekommen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung spricht von einem „Raubritterspiel“ – und meint damit die nachwendischen Charaden des Düsseldorfer Fürsten von Putbus: Erst erschlich dieser sich das Vertrauen der Rüganer, dann wurde er dort CDU-Abgeordneter, um mit seinen „Agenten“ die jetzt auf seinen 1945 enteigneten Ländereien Lebenden unter Druck zu setzen: Bei Zahlung „erklecklicher Summen“ versprach er ihnen, auf die Restitution zu verzichten: Viele gingen darauf ein, weil sie die sofortige Räumung nach seinem möglichen Gerichtssieg befürchteten.

Greifswalder Verwaltungsrichter kamen kürzlich zu dem Urteil, daß die Enteignung des Fürsten gültig bleibt. Da kam Freude auf Rügen und in ganz Mecklenburg-Vorpommern auf. Sie hält immer noch an. In den Kneipen und Cafés versichert man mir oft, daß alle weiteren Anstrengungen des Fürsten keine Chance mehr haben: „De oole Hund ist dot!“

Die Insel Rügen findet damit langsam zu einer Art Sylter Normalität zurück. Und der ehemalige Defa-Cascadeur und Republikflüchtling Peter Hick ist dabei vorneweg: Von Genscher bereits zum „Manager des Jahres“ ausgezeichnet („Wir waren streckenweise der größte Investor auf der Insel“), drängt man ihm inzwischen ein Filetstück nach dem anderen zum „Immobilienentwickeln“ auf.