Die Stimmung ist schlecht: Finanzminister Theo Waigel verkündet den Rückzug aus seinem Amt, und der Kanzler sitzt in der Zwickmühle. Gibt er Waigel nach, riskiert er Krach mit der FDP. Tut er es nicht, muß er mit einem Minister auf Abruf re

Die Stimmung ist schlecht: Finanzminister Theo Waigel verkündet den Rückzug aus seinem Amt, und der Kanzler sitzt in der Zwickmühle. Gibt er Waigel nach, riskiert er Krach mit der FDP. Tut er es nicht, muß er mit einem Minister auf Abruf regieren

Wetterleuchten am Wolfgangsee

Journalisten im sommerlich verödeten Regierungsviertel sind begeistert. Der amtierende Finanzminister erklärt sich öffentlich für amtsmüde und sinniert, er könne sich auch ein Leben als politischer Kommentator vorstellen! Und das kurz vor den Euro-Verhandlungen, auf dem Höhepunkt des Kampfes um die Steuerreform und angesichts leerer Haushaltskassen! Selbst in hektischen Bonner Tagen wäre das eine gute Geschichte. Im Sommerloch ist es ein glitzerndes Geschenkpaket.

Auch die Opposition freut sich über die unerwartete Steilvorlage. Im Regierungslager dagegen scheint die Stimmung eher verdrossen. Die Sprecher der Fraktionen möchten sich offiziell zum Thema nicht äußern. Einer meint, Theo Waigel habe die Zitate doch sofort dementiert. Nach dem Hinweis, daß das bei einem öffentlich ausgestrahlten Fernsehinterview gar nicht so einfach sei, korrigiert er sich: „Na gut, er hat es eben gleich zurückgenommen. Er war vielleicht bei dem Interview ein bißchen durcheinander.“

Helmut Kohl mag sich ähnliches, nur drastischer formuliert, gedacht haben, als ihn die Nachricht am Wolfgangsee erreichte. Der Finanzminister hat den Kanzler nach seiner im Spiegel geäußerten Aufforderung zu einer Kabinettsumbildung nun schon zum zweitenmal während seines Urlaubs zu einer öffentlichen Stellungnahme zur Personalpolitik genötigt. So etwas trübt die Ferienlaune.

Dabei hat doch der Bundeskanzler immer wieder sein enges persönliches Verhältnis zu Theo Waigel betont, auch dann noch, als dieser stümperhaft einen überflüssigen Streit mit der Bundesbank vom Zaun brach und die Kritik an seiner Amtsführung in Kreisen führender Industrieller immer lauter wurde. Jetzt hat es der Minister mit einigen wenigen Sätzen geschafft, dem Regierungschef nur noch die Wahl zwischen verschiedenen Übeln zu lassen.

Dem Kanzler war nach eigener Aussage bekannt, daß Waigel nach der nächsten Bundestagswahl nicht mehr für das Amt des Finanzministers zur Verfügung stehen will. CSU-Politiker haben diese Information seit Monaten gestreut und dabei stets darauf hingewiesen, daß es im Kabinett keine Erbhöfe geben dürfe. Gemeint war das Außenministerium. Das möchte der CSU-Chef gerne übernehmen. Die FDP aber wird dieses Ressort mit Zähnen und Klauen verteidigen, zumal Klaus Kinkel der einzige ihrer Minister ist, der auf der Straße gelegentlich erkannt wird.

Die FDP könnte als Ausgleich für das Amt des Außenministers den Finanzminister stellen, zum Beispiel in der Person ihres Fraktionsvorsitzenden Hermann Otto Solms. Aber mit dem Posten sind kaum Lorbeeren zu gewinnen. Für eine Partei, die um ihr parlamentarisches Überleben bangen muß, eine wenig attraktive Perspektive.

Darin liegt ja auch einer der Gründe für Waigels Überdruß. Er ist es leid, der „Watschenmann“ zu sein, der stets nur schmerzhafte Entscheidungen durchzusetzen hat und sich dabei nicht einmal immer auf die Solidarität der Kabinettskollegen verlassen kann. Ob Ostförderung oder Solidaritätszuschlag: populäre Forderungen dürfen andere erheben, der Finanzminister muß aufs Geld schauen.

Das hat er seit 1989 getan, und jetzt will er für treue Dienste belohnt werden. Aber es ist ein Unterschied, ob Waigel darauf im Vier-Augen-Gespräch mit dem Kanzler drängt oder ob er vor der Kulisse der bayerischen Bergwelt und laufender Fernsehkamera kaum verhohlene Drohungen nach Bonn schickt.

Helmut Kohl hat die Wahl zwischen Pest und Cholera. Gibt er Waigel nach, riskiert er den Krach mit der FDP. Außerdem entsteht der Eindruck, der Kanzler habe sich erpressen lassen, um die Schwesterpartei in die Koalitionsdisziplin einzubinden. Beläßt er den CSU-Chef jedoch auf seinem Posten, dann muß er Euro-Verhandlungen und Haushaltsstreit an der Seite eines Finanzministers auf Abruf durchfechten, der seine Lustlosigkeit öffentlich zu Protokoll gegeben hat.

Aber auch für Theo Waigel ist die Lage brenzlig. Er hat alles auf eine Karte gesetzt. Sticht sie nicht, dann droht ihm die politische Bedeutungslosigkeit. So viel Risikobereitschaft läßt sich nur damit erklären, daß dem CSU-Chef selbst das Wasser bis zum Hals steht – und zwar nicht in Bonn, sondern im heimischen Bayern. Im Herbst muß er einen Wahlparteitag überstehen. Während Theo Waigel im ungeliebten Ministerium für die Einhaltung der Maastricht-Kriterien kämpft, sammelt Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber Punkte mit öffentlich geäußertem Verständnis für Skepsis in der Bevölkerung gegenüber dem Euro.

Die CSU hat sich festgelegt: 3,0 ist 3,0. Höher darf das Staatsdefizit nicht ausfallen, soll Deutschland der Währungsunion beitreten. Helmut Kohl hat sich auch festgelegt. Er hat sein politisches Schicksal mit der pünktlichen Einführung des Euro verknüpft. Theo Waigel mag sich bei all dem dagegen nicht so genau festlegen. Er wird wissen, warum. Keiner kennt die Tücken der Währungsunion besser als er.

Das Dilemma, das auf Waigel zukommen kann, ist nicht zu lösen: Als Finanzminister kurz vor der Bundestagswahl muß er die Maastricht-Kriterien auch bei 3,2 oder 3,3 Prozent Defizit für erfüllt erklären. Wie will er da gleichzeitig Vorsitzender der 3,0-Prozent-Partei sein? Dieser Grätschsprung ist nicht zu schaffen. Im Auswärtigen Amt sitzt es sich bequemer. Bettina Gaus