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Der tolle Polle und der Deal mit der Gnade

Wie der SPD-Abgeordnete Rolf Polle Ausländerpolitik instrumentalisiert, und warum er überhaupt noch einmal Bürgerschaftskandidat wurde  ■ Von Silke Mertins

Oberstudienrat Rolf Polle ist eigentlich ein SPD-Mann der zweiten Reihe. Doch kurz vor Toresschluß, wenige Minuten vor Ende der letzten Bürgerschaftssitzung in dieser Legislaturperiode am Donnerstag abend, wollte der 49jährige Handelsschullehrer doch noch glänzen. Es war schon nach 22 Uhr, als er mitten im schweißtreibenden Abstimmungsmarathon – Arme rauf, Arme runter – den Bericht des Eingabenausschusses zur Debatte anmeldete. Dieser Ausschuß befaßt sich mit „Gnadenersuchen“– unter anderem Ausländersachen –, bei denen juristisch nichts zu machen ist. „Die GAL hat gegen die Abschiebung eines Drogendealers gestimmt“, petzte er, und zwar „nur, weil der hier ein Kind hat“. Das sei „beschissen“und „im Wahlkampf überhaupt nicht vertretbar“.

Ach, nur im Wahlkampf, aber davor und danach schon, wunderte sich die GAL. Und wozu die Debatte, wenn sowieso klar ist, daß das Parlament in Polles Sinne abstimmt? Doch das war erst der Anfang. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich die Auseinandersetzung zu einem heftigen rotgrünen Wortgefecht mit tumultartigen Szenen und gegenseitigen Beschimpfungen – nicht nur am Rednerpult, sondern auch zwischen den Fraktionsbänken. „Ein Tiefpunkt in der bürgerschaftlichen Kultur“, faßte Fraktionschef Willfried Maier das SPD-Verhalten für die GAL zusammen. „Ein Wahlkampfterrier-Akt, und Sie alle kläffen mit.“Die Grünen waren so erzürnt, daß die Fraktion sich fast geschlossen weigerte, an dem Abschieds-Umtrunk der Bürgerschaftspräsidentin teilzunehmen. Anna Bruns, GAL: „Mit der Mischpoke trinke ich nicht.“Jan Ehlers, SPD: „Beleidigen Sie mich nicht!“Bruns: „Empfinden Sie das Wort Mischpoke etwa als Schimpfwort?“Ehlers: „Sie wollen mich beleidigen!“Bruns: „Antisemit sind Sie also auch noch.“

Doch um wen ging es eigentlich? Ein 24jähriger Kurde, der nicht zum ersten Mal beim Dealen erwischt wurde, sitzt derzeit im Gefängnis und soll nach Verbüßung seiner Haft abgeschoben werden. Geschieht das, wird er seine dreijährige Tochter, die in Hamburg bei ihrer deutschen Mutter lebt, nicht wiedersehen können. Das Mädchen wüchse ohne Kontakt zum Vater auf, denn ein Abgeschobener darf nicht nach Europa einreisen.

Die Geburt des Kindes, argumentiert die GAL, hätte den damals 21jährigen verändert. Auch die Gefängnisleitung – gemeinhin nicht als Oase des Liberalismus bekannt – bescheinigte ihm, „gereift zu sein“, sein „Fehlverhalten eingesehen“zu haben, und empfiehlt deshalb keine Abschiebung. In der Türkei wird er wegen Militärflucht gesucht. Der junge Kurde „hätte noch ein Chance verdient“, findet GALierin Antje Möller. Wenigstens solle er seine in Haft begonnene Maurerlehre abschließen und freiwillig ausreisen dürfen. „Wer dealt, muß abgeschoben werden“, bellte indes Polle ins Mikrophon.

Dabei kann Polle froh sein, daß er von seinem Kreis Eimsbüttel überhaupt noch einmal aufgestellt wurde. Kurz vor seiner Nominierung zum Bürgerschaftskandidaten im Frühjahr drohte er über den Fall eines jungen Folteropfers aus dem Iran zu stolpern, der in Abschiebehaft hungerstreikte und dessen Petition Polle im Ausschuß abgelehnt hatte. Als das in der Presse bekannt wurde, tobte die Eimsbütteler SPD. So unmenschlich, grimmte die Mehrheit, dürfe ein Sozialdemokrat nicht sein. Mitten aus der Bürgerschaftssitzung verschwand Polle plötzlich. Kurze Zeit später brachte er den Fall des Iraners noch einmal in den Eingabenausschuß ein und ließ ihn positiv bescheiden. Und wie sich's trifft: Polle ist wieder Bürgerschaftskandidat.

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