Neue Wegachse in der Innenstadt

■ Zehn Jahre nach Hamburg gönnt sich auch Bremen im Katharinenviertel ein Passagenlabyrinth

Es ist ein Ameisenhaufen. Zumindest sieht es von oben so aus. Oben, das ist das Dach des Katharinenparkhauses in der Bremer Innenstadt. Und unten sowie in den Nachbargebäuden verstreut sind die ungezählten Maurer, Metallbauer, Konstrukteure oder Maler, die Wände weißen, in Dächern bohren, an Rohren schweißen oder wichtig tönende Kommandos rufen. Der Sinn ihres Treibens: Die komplette Umgestaltung des sogenannten Katharinenviertels am Domshof und somit die Realisierung eines der seit Jahrzehnten größten Bauvorhaben im Stadtzentrum.

Vom Domshof, dem Namensgeber für die neue Passage der Deutschen Bank, ist das Ausmaß der Veränderungen zwischen der Sögestraße und dem größten Innenstadtplatz nur zu erahnen. Viel zu wuchtig wirkt der rote Altbau, selbst wenn er für die Sanierung eingerüstet ist. Eher zufällig fällt der Blick erst auf die Plane, die auf die „Domshof-Passage“hinweist, und dann darauf, daß eine neue Wege-Achse in der Altstadt am entstehen ist.

Wo früher Hinterhöfe, Hausrückseiten, dunkle Gassen und die nolens volens unbeholfen zur Passage umgebaute Nullebene des Katharinenparkhauses das Bild prägten, wird nach Entwürfen von der fast vollständig versammelten Bremer Architektenprominenz ein neuer Stadtraum geschaffen. Im Gewusel aus Handwerkertätigkeiten, ihren deutschen und polnischen Sprachfetzen und dem Treiben einer Innenstadt ist sein Gesicht von der Sögestraße aus schon zu erkennen: Glasdächer über den Gassen, großzügige Schaufenster, geschwärzter Stahl sowie Blendplatten aus hellem Sandstein bestimmen sein Outfit.

„Es ist ein richtiger Boom – nur in Leipzig oder Berlin wird mehr gebaut“, schwärmte kürzlich der Chef des Kaufhauses Karstadt, das durch den Sporthaus-Neubau ebenfalls am Baulärm in der Innenstadt beteiligt ist. Und wenn man sich umsieht, könnte man ihm fast glauben. Denn als sich die Bremer Landesbank und dann die Deutsche Bank entschlossen, ihre Gebäude zu sanieren, zu erweitern oder zu ersetzen, zogen bald auch die Parkhausgesellschaft Brepark, das Modehaus Stiesing und andere Anlieger mit. „Wir waren der Spiritus rector“, gibt sich ein Sprecher der Landesbank-Tochter Nordwest-Vermögen deshalb auch ganz unbescheiden im Bewußtsein, in der vermeintlich bitterarmen Stadt eine Kettenreaktion ausgelöst zu haben.

Da paßt es, daß die Schätzung über die Gesamtinvestitionen auseinandergehen. Die Nordwest-Vermögen spricht von 350 Millionen Mark, Günther Krukemeyer vom Bauressort meint dagegen, daß all das schon für 200 Millionen zu haben war und ist. Indes bleibt der Anteil öffentlicher Gelder im Vergleich zu anderen Projekten relativ gering: Mit knapp drei Millionen Mark ist die Stadt nach Krukemeyers Angaben direkt im Katharinenviertel dabei. Hinzu kommen 5,25 Millionen Mark, für die zwischen Frühjahr und Herbst 1998 die Bischofsnadel und der zweite Abschnitt Am Wall umgestaltet werden sollen. Schon im September werde für rund zehn Millionen Mark mit dem Bau des sogenannten Domshof-Cafés nach einem Entwurf des Kölner Architekten Joachim Schürmann begonnen. Nach Insiderangaben wäre das Projekt beinahe am Konflikt zwischen dem Architekten und dem Betreiber, der Gastronomiegruppe „Alex“, gescheitert. Doch der Streit sei inzwischen ausgeräumt.

Freilich ist all das kein blinder Aktivismus, der sich da austobt und mit dem sich die Hansestadt zehn Jahre nach Hamburg auch ein Passagenviertel gönnt. Denn jahrelang krankte die Bremer Innenstadt an der L-Form der Laufwege: Obernstraße und Sögestraße waren die Hauptachsen, doch in direkter Nachbarschaft leistete sich Bremen statt weiterer attraktiver Straßen Hinterhöfe als Überraschungen purer Tristesse. Zweiter Knackpunkt, der sich in nahezu jedem von der Stadt in Auftrag gegebenen Gutachten wiederfindet: Die räumliche Trennung von touristisch, kulturell und kommerziell interessanten Innenstadtgebieten. Genau hier setzt das Katharinenprojekt an. Krukemeyer: „Wir schaffen neue Rundwege.“

Die allerdings zielen mit ihren Läden und Schaufensterauslagen in erster Linie auf das einkaufswillige Publikum. Und die Bauherren der Deutschen Bank waren sich dieses Problems offenbar bewußt, als sie die Bedingung stellten: Ohne Domshof-Café keine Passage. Denn trotz der neuen Wegeachse und ihrer vermeintlichen Großzügigkeit haben Passagen die Tendenz zur Hermetik: Wer sich nicht für die Auslagen der (noblen) Geschäfte interessiert, muß schon andere Gründe haben, sie zu begehen. Fürs erste mag ab dem 1. Oktober, wenn die Landesbankpassage eröffnet wird, und ab Herbst 1998, wenn auch die Domshof-Passage fertig ist, die Neugier reichen. Die Neugier auf ein neues Katharinenviertel, dem Harm Haslob, der Architekt der Domshof-Passage, und Ewald Brune, Architekt des Landesbank-Gebäudes, nur zufällig das gleiche Sandstein-Stahl-Glas-Outfit gegeben haben.

Doch eine Stadt bezieht ihre Attraktivität aus Überraschungen, aus Eindrücken, die von den Shopping-Malls auf der grünen Wiese nicht geliefert werden. Sie zu bieten, ist allerdings nicht mehr (nur) die Aufgabe von Architekten. ck