Jan Fabre mit "The very seat of honour" am Halleschen Ufer

Vorschlag

Jan Fabre mit „The very seat of honour“ am Halleschen Ufer

Das cholerische Temperament: Renée Copraij Foto: J.P. Stoop

Die Bühne ein dunkler Raum. In der Mitte eine weiße Chaiselongue. Dort räkelt sich eine Dame in Blau und knackt Erdnüsse. Krrrk. Das Geräusch, als rhythmisierter Musikersatz zwischen atonalen Gitarren- und Synthie-Ausbrüchen eingesetzt, verfolgt einen den ganzen Abend lang. Das Luxusgeschöpf steht auf und beginnt einen langsamen Verführungstanz, schlängelnd, trippelnd, mit schwingenden Hüften und langen, sich in gefährlichen Spiralen windenden Händen. Sie schaut ins Publikum, lächelt, beginnt von neuem, wiederholt die Sequenz. Am Ende steht immer die eine Pose: Sie beugt sich vor und streckt dem Publikum ihren mit einem Samtkissen ausgepolsterten Hintern entgegen. Auffordernd. Nichts passiert. Mit zunehmender Verärgerung beginnt sie das Spiel von vorn.

Es geht – ursprünglich – um ein Gefühl. Der Flame Jan Fabre, bekannt als mit blauen Kulis kritzelnder Künstler und manischer Inszenator minimalistischer bis orgiastischer Theaterabende, arbeitet zur Zeit an einer Serie von vier Solochoreographien, die die klassischen Temperamente zum Thema haben: cholerisch, phlegmatisch, melancholisch, sanguinisch. In dem ersten Stück dieser Reihe steht die Tänzerin Renée Copraij für das cholerische Temperament. Ihre Wut hat einen etwas seltsamen Anlaß: Sie ist der Körper, der geschlagen werden will. Das gepolsterte Hinterteil, das sie gen Publikum schwenkt, will rituell vermöbelt werden wie die Jungs in britischen Internaten. Doch niemand entert die Bühne und schlägt zu. Natürlich nicht. Also: getanzte Wut.

Was könnte diese Konstellation nicht alles auslösen. Erregung. Erkenntnis des eigenen Voyeurismus. Reflexionen über den Körper – und besonders den weiblichen Körper – auf der Bühne als Lustobjekt. Skandal, Skandal über noch eines dieser bühnenwirksamen Sado-Maso-Spielchen, die – schrecklicher Verdacht – vielleicht gar keine richtige Kunst sind.

Statt dessen überwiegt die Distanz. Vielleicht liegt es an der Choreographie: Das Repertoire tänzerischer Verführungskunst enthält einen Tick zuviel Hüftwackeln und weibchenhaftes Getippel; es gibt Momente, da schrammt die popogepolsterte Reneée Copraij in ihrer Fabre-blauen Samtwäsche hart an der Lächerlichkeit vorbei. Und das Spiel um den zu versohlenden Hintern wird nie so ernst, daß es wirklich spannend würde: Die Grenze zwischen Bühne und Publikum ist, so sehr das Theater sie manchmal auch niederreißen will, einfach zu fest. Doch Renée Copraij arbeitet. Sie versucht es, immer wieder, mit beeindruckender Konsequenz. Ihr Haar hängt ihr wild ins immer entschlossener blickende Gesicht. Sie schwitzt. Ihre Bewegungen verlieren für einen Moment die strenge Form. Sie ist an der Grenze ihrer Möglichkeiten. Und in diesem Moment ist sie da, die Faszination: Die Voyeuristin in mir erwacht. Doch genau dann ist es zu Ende. Weder ästhetisches Meisterwerk noch Provokation, sondern ein Interruptus. Elke Buhr

Heute und morgen im Theater am Halleschen Ufer, 21 Uhr